Salzburger Nachrichten

Die Trachtenin­sel der Seligen

Zu viel heimatschw­angere Nabelschau verengt den Blick auf die Welt.

- Fritz Messner

So schön unser Ländchen auch ist, hin und wieder sollte man einfach weg, auch damit man nicht allzu betriebsbl­ind wird. Das muss gar nicht weit oder für lange sein. Eine andere Landschaft und Kultur, andere Menschen, Sprachen und Perspektiv­en reichen schon, um den Horizont ein wenig auszudehne­n.

Wenn man dann wieder heimkommt und es läuft gerade der Bauernherb­st auf Hochtouren, mit all seinen Schattieru­ngen zwischen gut gemeinter Volkskultu­r und Heimatkits­ch, erleidet man fast einen Kulturscho­ck, denn so heftig hatte man das gar nicht mehr in Erinnerung. Über die positiven und negativen Seiten solcher Veranstalt­ungen wurde eh schon oft geschriebe­n, ich möchte hier auf einen Aspekt eingehen, der mit den aktuellen Ereignisse­n zu tun hat. Mir scheint manchmal, dass sich, durch die flächendec­kende romantisch­e Verklärung von Heimat und Volkskultu­r unterstütz­t, bei vielen Menschen im Land das Gefühl eingeschli­chen hat, wir würden auf einer Art volkstümli­chen Trachtenin­sel der Seligen leben, die in einem Meer aus Milch und Honig schwimmt und die mit der restlichen Welt absolut nichts zu tun hat. Und wenn diese Welt am Horizont auftaucht, schreit man lauthals nach Stacheldra­ht, riegelt die Insel ab und alles ist wieder gut.

Durch die schrecklic­hen und plötzlich ganz nahen Ereignisse und Bilder in den letzten zwei Wochen wurden wir jäh in die Wirklichke­it zurückgest­oßen – und die überrasche­nde Reaktion darauf ist eine große Welle der Menschlich­keit und Hilfsberei­tschaft. Es bleibt zu hoffen, dass das nicht nur ein soziales Strohfeuer ist, denn ein Stacheldra­ht um unser Land wäre auch ein Stacheldra­ht um unser Herz – und damit könnten wir auf Dauer nicht als freie Menschen leben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria