Die Trachteninsel der Seligen
Zu viel heimatschwangere Nabelschau verengt den Blick auf die Welt.
So schön unser Ländchen auch ist, hin und wieder sollte man einfach weg, auch damit man nicht allzu betriebsblind wird. Das muss gar nicht weit oder für lange sein. Eine andere Landschaft und Kultur, andere Menschen, Sprachen und Perspektiven reichen schon, um den Horizont ein wenig auszudehnen.
Wenn man dann wieder heimkommt und es läuft gerade der Bauernherbst auf Hochtouren, mit all seinen Schattierungen zwischen gut gemeinter Volkskultur und Heimatkitsch, erleidet man fast einen Kulturschock, denn so heftig hatte man das gar nicht mehr in Erinnerung. Über die positiven und negativen Seiten solcher Veranstaltungen wurde eh schon oft geschrieben, ich möchte hier auf einen Aspekt eingehen, der mit den aktuellen Ereignissen zu tun hat. Mir scheint manchmal, dass sich, durch die flächendeckende romantische Verklärung von Heimat und Volkskultur unterstützt, bei vielen Menschen im Land das Gefühl eingeschlichen hat, wir würden auf einer Art volkstümlichen Trachteninsel der Seligen leben, die in einem Meer aus Milch und Honig schwimmt und die mit der restlichen Welt absolut nichts zu tun hat. Und wenn diese Welt am Horizont auftaucht, schreit man lauthals nach Stacheldraht, riegelt die Insel ab und alles ist wieder gut.
Durch die schrecklichen und plötzlich ganz nahen Ereignisse und Bilder in den letzten zwei Wochen wurden wir jäh in die Wirklichkeit zurückgestoßen – und die überraschende Reaktion darauf ist eine große Welle der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Es bleibt zu hoffen, dass das nicht nur ein soziales Strohfeuer ist, denn ein Stacheldraht um unser Land wäre auch ein Stacheldraht um unser Herz – und damit könnten wir auf Dauer nicht als freie Menschen leben.