Ein bisschen Frieden
Der politische Pontifex tritt ans Pult. Franziskus spricht über Waffenhandel, Todesstrafe, Klimawandel und die Ungerechtigkeit in einem großen, oft widersprüchlichen Land.
Für einen Tag soll Ruhe herrschen. Ruhe im von Dauerzank geplagten US-Kongress, Ruhe im verbissenen Hickhack zwischen Republikanern und Demokraten, Ruhe vor dem aufziehenden Gezerre um die Staatsfinanzen und einer möglicherweise gar drohenden Stilllegung der Regierung. Papst Franziskus ist da, der Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, und er will eine Rede halten.
Zehn Monate hatte der Vatikan sich Zeit gelassen, um die Einladung des Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, John Boehner, anzunehmen. Dass der Papst am Donnerstag tatsächlich vor den versammelten Kongress trat, ist nicht weniger als eine kleine Sensation. In den USA, wo Kirche und Staat strikt getrennt sind und wo Katholiken teils als Bedrohung galten, wäre eine solche Rede vor 40 Jahren wohl undenkbar gewesen. Entsprechend weit ist der Bogen, den der Pontifex in seiner selbst vom Vatikan als „außergewöhnlich“bewerteten, 50minütigen Rede spannt: vom Sklavenbefreier-Präsidenten Abraham Lincoln über den ermordeten schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King bis zur Feministin und Friedensaktivistin Dorothy Day preist der Papst diejenigen, die das „Land of the free“erst frei machten.
Reizthemen liegen während Franziskus’ erster USA-Reise genügend in der Luft. „Auch in der entwickelten Welt sind die Auswirkungen ungerechter Strukturen und Handlungen allzu offensichtlich“, sagte er – ein möglicher, aber keineswegs eindeutiger Fingerzeig auf anhaltenden Rassismus gegen Afroamerikaner. Die an der mexikanischen Grenze ankommenden Flüchtlinge dürften nicht als Statistik abgetan, sondern müssten als Menschen mit Gesichtern und Geschichten gesehen werden. Auch indigene Stämme klammert Fran- ziskus ein: „Tragischerweise sind die Rechte derer, die lang vor uns hier waren, nicht immer respektiert worden.“Alte Fehler dürften nicht wiederholt werden.
Deutlicher wird das katholische Kirchenoberhaupt aber erst beim Thema Waffenlieferungen. „Für Geld, das vor Blut – oft unschuldigem Blut – trieft“würden tödliche Waffen verkauft. Die USA stehen als weltweit führender Exporteur von Waffen, mitunter an in Menschenrechtsfragen stark umstrittene Staaten, aber ohnehin am Pranger. Eine wirkliche Überraschung ist diese päpstliche Kritik genauso wenig wie die Tatsache, dass der 78jährige Argentinier sich dem bischöflichen Ruf zur Abschaffung der Todesstrafe anschließt. Und auch sein Ruf nach mehr Tatendrang beim Klimaschutz ist mittlerweile bekannt.
Die Zuhörer hat der ruhig auf Englisch sprechende Papst trotz- dem auf seiner Seite. Immer wieder hält er inne, bis der Applaus verklungen ist. Lang klatscht das Publikum beim Appell zur Flüchtlingskrise. „Die meisten von uns sind einst selbst Fremde gewesen.“Der Satz sitzt in einem einst von Einwanderern aufgebauten Land. Der Plenarsaal ist prall gefüllt, nur ein einziges der 535 Kongressmitglieder boykottiert die Rede.
Vielleicht ist es die in den USA beliebte ideologische Einteilung in Gut und Böse, die in der Papstrede am längsten nachhallt.
Von „grob vereinfachendem Reduktionismus, der die Wirklichkeit in Gute und Böse oder, wenn Sie wollen, in Gerechte und Sünder unterteilt“, spricht Franziskus, vor der die Menschen sich hüten müssten – Ex-Präsident George W. Bush, der die Welt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine „Achse des Bösen“und des Guten teilte, lässt grüßen.