Massenpanik bei Hadsch
Das schlimmste Unglück bei der Pilgerfahrt seit 1990 kostet 717 Menschen das Leben.
MINA. Er gilt als kritischster Abschnitt der Pilgerfahrt Hadsch. Wie kritisch, wurde gestern auf grausame Weise ersichtlich: Bei einer Massenpanik starben 717 700 Menschen, 863 wurden verletzt. 220 Krankenwagen und 4000 Rettungskräfte standen im Dauereinsatz.
Dabei hatte alles friedlich begonnen. Bei Sonnenaufgang hatten sich Hunderttausende Gläubige in das Tal von Mina begeben, um dort von einer Brücke aus mindestens sieben Steinchen auf drei den Satan symbolisierende konkave Säulen zu schleudern.
Um Massenpaniken bei der Teufelssteinigung zu verhindern, hatte die saudische Regierung erst 2009 die an den Säulen vorbeiführende Jamaran-Brücke auf fünf Ebenen erweitert. So können fast 300.000 Menschen pro Stunde das Ritual vollziehen. Nach arabischen Fernsehberichten sollen die Steinigungen ohne Zwischenfälle verlaufen sein. Zu der tödlichen Massenpanik, bei der mindestens 717 Menschen zu Tode getrampelt oder erstickten und mehr als 800 verletzt wurden, kam es offenbar in einer Straße der angrenzenden Zelt- stadt. Zurückkehrende Pilger seien dort über auf dem Boden sitzende Gläubige gefallen und hätten so die fatale Kettenreaktion ausgelöst. Unter den Opfern sind 41 Iraner sowie zahlreiche Muslime aus dem Niger. Bereits 2004 waren bei einer Massenpanik in Mina 350 Gläubige ums Leben gekommen. Noch bevor die diesjährige Pilgerfahrt begann, war bei einem Unwetter ein riesiger Baukran auf die Große Moschee von Mekka gestürzt. 115 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Nach dem Ausbruch eines Feuers in einem Hotel der der heiligen Stadt konnten dagegen vor einigen Tagen die 1500 Gäste rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.
Die Pilgerfahrt (arabisch Hadsch) ist für die Veranstalter eine gewalti- ge logistische Herausforderung. Als „Hüter der heiligen Stätten“trägt Saudi-König Salman die Verantwortung für die Sicherheit der Pilger. Versagen seine Leute, muss er sich vorwerfen lassen, der Organisation der Hadsch nicht gewachsen zu sein. Dass der Druck auf Salman nach der von vielen Katastrophen überschatteten diesjährigen Pilgerfahrt zunehmen wird, gilt als sicher.
Die Terrormiliz „Islamischer Staat“könnte ihre Aufrufe zum Sturz der wahabitischen Monarchie mit Bildern toter Pilger unterlegen. Ihr ultimatives Ziel, betonte der saudische Politologe Fahad Naser, sei die Kontrolle von Mekka und Medina. Vielen gemäßigten Muslimen ist dagegen die hemmungslose Kommerzialisierung des Hadsch ein Dorn im Auge. Der ursprüngliche religiöse Gedanke der Pilgerfahrt, kritisiert der Gründer des Zentrums für Hadsch-Studien in Mekka, Sami Al-Angawi, gehe dadurch verloren. Was bleibe, sei ein „mechanisierter Hadsch“, der mit der ursprünglichen Pilgerfahrt, wie sie die Propheten Mohammed und Ibrahim unternommen hätten, nichts mehr zu tun habe.
Tatsächlich wurde die Umgebung der Kaaba von Mekka in eine Hochhäuserstadt verwandelt, in der reiche Saudis wohnen. Die Große Moschee von Mekka wird von einem Wolkenkratzer mit der größten Uhr der Welt dominiert. Daneben hat die Bin Laden Group einen riesigen Hotelkomplex mit Shopping-Malls für Pilger gebaut.