Das ist alles nur getrickst, alles gar nicht wahr
Der VW-Skandal ist kein WirtschaftsSkandal wie jeder andere. Er sprengt alle Dimensionen.
Große Krisen bergen die Chance, viel Besseres hervorzubringen.
Ich will dich gern verführ’n, doch bald schon merke ich: Das wird nicht leicht für mich. Ich bau mir eine Software, und werd der Stickoxide Herr, auf meinen Heiligenschein fällst du sicher rein. Das ist alles nur getrickst, alles gar nicht wahr. Es ist ein Gerücht, dass die Ingenieure bei Volkswagen den alten Prinzen-Song so umgetextet haben. Aber bestätigt ist: Volkswagen hat seine Kunden betrogen. Von ihnen Geld für besonders umweltfreundliche Autos kassiert, die in Wahrheit die Umwelt verschmutzen und die Gesundheit der Menschen gefährden. Oder wie sollte man das sonst nennen, wenn Abgaswerte beim Fahren auf der Straße um ein Vielfaches höher sind, als der Konzern glaubhaft machen wollte, weil er bei Tests eine Manipulationssoftware einsetzt – in elf Millionen Autos weltweit?
Der VW-Skandal ist kein Wirtschaftsskandal wie andere. Auch wenn viele versucht sind, Vergleiche mit anderen wie Toyota oder General Motors anzustellen, sind sie nicht zulässig.
Ja, sowohl beim japanischen als auch beim amerikanischen Autobauer hat es sogar Tote durch hängen gebliebene Gaspedale oder defekte Zündschlösser gegeben. Auf den ersten Blick erscheinen die Tricksereien bei Stickoxiden im Vergleich dazu harmlos. Ein Irrtum. Bei Volkswagen haben Verantwortliche mit Absicht Behörden, Staaten und Kunden hinters Licht geführt, aus Gier und für den eigenen Erfolg. Bei Toyota und General Mo- tors hingegen sind schwerwiegende Fehler passiert, mit denen die Verantwortlichen dann noch fahrlässig umgegangen sind.
Es ist auch falsch zu sagen, wegen Stickoxid-Trickserei hätten Autofahrer keinen großen Schaden erlitten. Nein, hinter dem Auspuff fällt keiner sofort tot um, aber Stickoxide können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, das Risiko für Herzinfarkte erhöhen, Allergien verstärken. Sie tragen zur Bildung von Smog und Feinstaub bei. Diese Umwelt- und Gesundheitsgefahren wiegen schwer.
Die Autoindustrie im Allgemeinen und der Volkswagen-Konzern im Speziellen wollen uns seit Jahren vermitteln, dass Autos mit Ver- brennungsmotoren mittlerweile derart umweltfreundlich sind und immer umweltfreundlicher werden, dass aus dem Auspuff beinahe grüne Bäumchen herauskommen. Dieses Vertrauen ist zu Recht erschüttert, und dies beschränkt sich nicht auf den Wolfsburger Konzern. Denn das Besondere an diesem Skandal ist auch seine Streuwirkung. Längst geht es nicht mehr nur um die Fälscher bei Volkswagen, sondern um den Ruf der deutschen Industrie und ihrer Ingenieurskunst. Niemand kann glauben, dass andere nicht betroffen sind, wenn das wichtigste deutsche Unternehmen, das noch dazu aus der Schlüsselindustrie Autobau kommt, derart ins Wanken gerät.
In Sachen Klimaschutz und technisches Know-how sitzen die Vorzeigeunternehmen der deutschen Industrie auf einem hohen Ross. Es gibt kaum deutsche Manager, die nicht mit der technischen Überlegenheit im Gepäck durch die Welt ziehen. Bisher hat das gezogen. Wie sehr das Image der gesamten deutschen Industrie unter dem VWSkandal leiden wird, kann niemand sagen. Aber es leidet, und das wird uns mit der starken Zulieferindustrie auch in Österreich treffen.
Bleibt die Frage nach dem Warum. Dass keiner in einem Unternehmen mit 600.000 Mitarbeitern aufschreit, wenn eine gewaltige Schweinerei passiert, daran erkennen selbst Laien: Hier krankt es an der Betriebskultur, an der Struktur und auch an der Führungsqualität. Jahrelang haben die VW-Bosse das Ziel, größter Autobauer der Welt zu werden, wie ein Mantra vor sich her getragen. Dem wurde alles untergeordnet. Wie man jetzt sieht, auch die Kunden. Doch gerade dem Kunden ist es egal, ob er beim zweitgrößten oder viertgrößten Hersteller kauft. Er will ein ordentliches Auto, in dem drinnen ist, wofür er bezahlt.
Große Krisen bergen die Chance, etwas Neues, viel Besseres hervorzubringen. Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Autoingenieure Antriebe auf den Markt werfen, die die richtige Antwort auf unsere gefährdete Umwelt im 21. Jahrhundert sind. In ihren Schubladen liegt dazu ohnehin viel Material.