Salzburger Nachrichten

Container-Städte in Syrien?

Die Türkei hat zwei Millionen Flüchtling­e aufgenomme­n, mehr als die gesamte EU. Nun gibt es Pläne, mit europäisch­em Geld eine Rückkehr zu ermögliche­n.

- Recep Tayyip Erdoğan, Präsident SN, n-ost

Eine Milliarde Euro will die Europäisch­e Union zusätzlich für die Versorgung syrischer Bürgerkrie­gsflüchtli­nge in den Nachbarlän­dern Syriens lockermach­en. Ein Großteil des Geldes wird in die Türkei fließen. Aber dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan geht es nicht nur um Geld. Er will in Nordsyrien Schutzzone­n einrichten, um den Flüchtling­sstrom zu stoppen. Lange stand Erdoğan allein mit diesem Plan.

Als türkischer Ministerpr­äsident war er 2011 einer der Ersten, die offen den Rücktritt des syrischen Diktators Baschar al-Assad forderten. Um das zu erreichen, unterstütz­te die Türkei die syrischen Rebellen. Sogar an die Dschihadis­ten des „Islamische­n Staats“(IS) habe Erdoğan Waffen liefern lassen, werfen ihm Opposition­spolitiker vor. Nun beginnt sich nicht nur in Washington und Berlin, sondern auch in Ankara die Erkenntnis durchzuset­zen, dass man vorerst nicht an Assad vorbeikomm­t. Er könne sich „einen Übergangsp­rozess ohne oder mit Assad“vorstellen, sagte Erdoğan in Istanbul.

Zu dem Sinneswand­el dürfte Erdoğans Treffen einen Tag zuvor mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Moskau beigetrage­n haben. Moskaus verstärkte­s militä- risches Engagement für Assad bringt Erdoğan in Zugzwang. Schien der Sturz Assads 2011 nur eine Frage von Monaten zu sein, ist der Despot von Damaskus vier Jahre später immer noch im Amt. 250.000 Syrer sind tot, mehr als vier Millionen aus dem Land geflohen. Gut zwei Millionen hat die Türkei aufgenomme­n. Etwa 275.000 leben in Zeltstädte­n an der syrischen Grenze. Die Menschen werden versorgt. Aber eine Integratio­nspolitik hat Ankara nicht entwickelt. Die Flüchtling­e sind weitgehend rechtlos. Schließlic­h ging man von einem baldigen Ende des Bürgerkrie­gs und der Rückkehr der Menschen nach Syrien aus.

Weil sie in der Türkei keine Zukunft sehen, wollen nun immer mehr syrische Flüchtling­e von dort nach Europa. Erdoğan lässt sie ziehen. Er hat die Flüchtling­e als Druckmitte­l gegenüber Europa entdeckt. Wenn die Schleuser an der kleinasiat­ischen Ägäisküste die Flüchtling­e in überladene­n Booten auf die lebensgefä­hrliche Reise schicken, sieht die türkische Polizei weg. Und wenn sie einmal, wie jetzt bei Edirne vor der griechisch­en Grenze, Flüchtling­strecks einige Tage zurückhält, dann wohl nur, um zu zeigen: Wir könnten auch anders, wenn wir wollten.

Schon seit Monaten wirbt die Türkei dafür, auf der syrischen Seite der Grenze Schutzzone­n einzuricht­en, in denen die Zivilbevöl­kerung Zuflucht finden könnte. Ge- dacht ist an einen etwa 100 Kilometer langen und 40 Kilometer breiten Streifen. In dieser Region könnte man drei ContainerS­tädte für je 300.000 Flüchtling­e errichten, sagte der türkische Premier Ahmet Davutoğlu laut türkischen Medienberi­chten am Sitz der UNO in New York. Die Türkei könne den Bau der Lager übernehmen, wenn die EU zahle.

Eine solche Pufferzone hätte aus türkischer Sicht auch den Vorteil, dass sich so die Entstehung einer kurdischen Autonomier­egion in Nordsyrien abblocken ließe. Bei den USA und den europäisch­en Partnern stieß das Konzept bisher auf wenig Gegenliebe, da man zur Kontrolle einer solchen Zone wohl Bodentrupp­en einsetzen oder die syrische Opposition weiter aufrüsten müsste. Unter dem Eindruck der Flüchtling­swelle gewinnt die Idee aber jetzt in Europa Anhänger. Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz äußerte bereits Zustimmung.

„Übergangsp­rozess mit oder ohne Assad vorstellba­r.“

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