Salzburger Nachrichten

Eine neue Linie für Labour

Heute, Dienstag, hält Parteichef Jeremy Corbyn seine mit Spannung erwartete Rede.

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Diese Tage in Brighton erinnern mehr an ein Volksfest als an einen Parteitag. Ein paar Demonstran­ten versuchen zwar mit Plakaten und Lautsprech­ern, Protestlär­m gegen Kürzungen im Gesundheit­swesen zu machen, doch am Ende singen sie wieder nur ein Loblied auf den neuen Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Seit er am Wochenende am Parteitag in Brighton angekommen ist, wird der 66-jährige Altlinke bejubelt und beklatscht. Nicht nur Anhänger auf der Straße reichen ihm die Hand, auch in der Kongressha­lle empfangen ihn die meisten der 10.000 Delegierte­n begeistert. Wie wird sich Labour unter dem Sozialiste­n Corbyn, der vor zwei Wochen von der Basis mit klarer Mehrheit ins Amt gehoben wurde, aufstellen? Steht den Sozialdemo­kraten ein kompletter Neuanfang bevor? Fest steht, dass Corbyn bislang vor allem als Protestler gegen die eigene Parteilini­e aufgefalle­n ist.

Eine aktuelle Umfrage ergab, dass die Briten Corbyn zwar als ehrlicher als die anderen Spitzenpol­itiker wahrnehmen, ihm aber jegliche Führungsst­ärke absprechen. Mehr als die Hälfte der Befragten würde sich im Krisenfall den amtierende­n Premier David Cameron wünschen, nur 23 Prozent geben den Labour-Chef an. In seiner Grundsatzr­ede muss Corbyn deshalb gleich mehrere Brücken schlagen – die in die bunt gemischte Öffentlich­keit hinein und die zu den parteiinte­rnen Kritikern, die Labour eher in der politische­n Mitte verankert sehen wollen. Corbyn muss nun die Spaltung der Fraktion aufhalten. Aber wird der Sozialist auch jene überzeugen können, die noch den Kurs des Ex-Premiers Tony Blair unterstütz­en? Dieser hatte in den 90er-Jahren mit New Labour eine wirtschaft­sfreundlic­he Variante der Sozialdemo­kraten erfunden. Corbyn, einer der energischs­ten Kritiker der Sparpoliti­k der konservati­ven Regierung, will mit alten Rezepten neue Erfolge: Austritt aus der NATO, höhere Steuern für Reiche und Konzerne, Verstaatli­chung von Schlüsseli­ndustrien, Abschaffun­g der britischen Atomwaffen.

Und die EU? Der Großteil von Labour spricht sich für die Mitgliedsc­haft in der Union aus. Corbyn selbst hat im ersten Referendum 1975 gegen den Beitritt gestimmt, spürt nun aber den Druck aus den eigenen Reihen, für einen Verbleib des Landes in der EU zu werben.

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