„Erfahrung kann auch arm machen“
Zurückblicken? Oder lieber nach vorn schauen? Peter Cornelius will beides: Der Popstar setzt zum „Zeitsprung“an.
„Und schreiben Sie ruhig, dass alle großen Hits auch dabei sind“, sagt Peter Cornelius. Denn auf den Plakaten steht „neues Programm“, und die große Tour, zu der er nächste Woche aufbricht, heißt „Zeitsprung“. Überspringen will der 64-jährige österreichische Popstar aber keine Wegmarke seiner Karriere. Zum Tourstart erscheint auch ein „Best of“-Doppelalbum mit 36 Songs. Wie sich die eigenen Hits und der Blick auf die Welt mit der Zeit verändern, erzählt Peter Cornelius im Gespräch. SN: Bei Ihrem ersten Auftritt in der ORF-„Showchance“sangen Sie 1973 „I leb’ in ana Wolk’n“. Wie viel von dem Lebensgefühl haben Sie sich als Songschreiber bewahren können? Cornelius: Früher habe ich einfach spontan gemacht, was mir eingefallen ist. In dem Lied sang ich ja auch: „I hob a Sanduhr ohne Sand, i hob mein’ Reichtum ohne Geld.“Das war schon noch ein Zustand, oder? (lacht) Aber die Nummer ist in unseren Konzerten nach wie vor dabei. Allerdings klingt sie heute ganz anders: Sie ist ein Rocksong mit Slidegitarre geworden. SN: Verändern sich alle Songs mit Ihnen und mit der Zeit? Ja, sie machen alle eine gewisse Entwicklung durch. Natürlich mache ich keine Nummern daraus, die das Publikum nicht mehr erkennen würde. Aber ich gebe gern meinem Bedürfnis nach, meine Lieder mit der Zeit ein bisschen anders zu spielen. Sonst wäre es mir zu starr, zu eingefroren. Auch Hits wie „Reif für die Insel“klingen auf der Bühne heute anders als auf der Platte. SN: Auf Ihrem jüngsten Album „12 neue 12“klingen die E-Gitarren und manche Songs durchwegs rauer als gewohnt. Hat das mit einem gegenwärtigen Zeitgefühl zu tun? Das hat eigentlich mehr mit der Energie von New York zu tun, wo ich jedes Jahr Zeit verbringe. Dort entstanden auch Songs. Ich wollte diese Aufnahmen nicht glätten. New York hat so eine starke Energie des Tuns: Man bespricht etwas, und dann steht schon der Erste auf und tut es. Bei uns wird oft erst sieben Mal drüber geredet, bis der Erste sagt: „Also je länger wir drüber reden, umso sinnloser kommt mir das vor. Warum fahr’ ma ned zum Heurigen?“
Dieses Gefühl, das ich hier immer wieder wahrnehme, lässt sich für mich mittlerweile auf eine kurze Formel bringen: Wir sind keine Nation, wir sind eine Resignation. Und es legt sich immer noch eine weitere Lage dieses bleiernen Tuchs oben drüber. Es wird kaum etwas getan, um auch jungen Leuten wieder das Gefühl zu geben, dass es Sinn macht, wenn sie sich anstrengen und versuchen, etwas aus sich und ihrem Leben zu machen, dass das Sinn macht. Das ist schlimm. SN: In der österreichischen Popmusik herrscht hingegen Aufbruchstimmung. Bands wie Wanda oder Bilderbuch sorgen für viel Aufsehen. Verfolgen Sie die aktuelle Szene? Alles verfolge ich nicht, aber was Wanda machen, finde ich zum Beispiel ausgezeichnet. Das ist von einer ganz besonderen Eigenart und nicht umsonst erfolgreich. Es ist nur zu wünschen, dass nicht der Druck zu sehr zuschlägt. SN: Wie wirken sich die Folgen des Erfolgs auf das Songschreiben aus? War ein Text wie die „Wolk’n“aus Ihrer heutigen Sicht ein jugendliches Privileg? Oder könnten Sie ihn immer noch schreiben? Ich versuche ja, den kleinen verbliebenen Rest vom Kind in mir mit Hauen und Stechen zu verteidigen. Ich weiß aber nicht, wie ich damit zurechtkomme. In diesem Metier kann man – und das ist ebenfalls eine Formel, die sich für mich herauskristallisiert hat – auch an Erfahrung arm werden. Klar helfen einem viele Erfahrungen dabei, über die Runden zu kommen. Beim Überqueren der Straße nach rechts und links zu schauen macht natürlich Sinn. Aber Erfahrungen können auch zu einer Armut führen: Für kreative Prozesse ist es wie eine Amputation, wenn Naivität restlos beseitigt wird. Neugierde und Spieltrieb sind wichtig. Darum habe ich auch einmal eine sehr lange Pause vom Musikgeschäft eingelegt: um all das wieder genesen zu lassen. SN: Ihre Diskografie ist 21 Alben lang. Wie wählen Sie daraus für Ihre „Zeitsprung“-Konzerte? Wir gehen weit zurück bis zum Anfang der 70er-Jahre oder, wenn ich erzähle, auch noch weiter bis in die Zeit, als ich zum ersten Mal Songs der Rolling Stones wahrgenommen habe. Dann springen wir vielleicht wieder zu einem Stück aus dem jüngsten Album, dann wieder zu einem älteren Hit. Diesmal spiele ich auch ein Stück, das ich erst auf dem nächsten Album haben werde. Das hab ich noch nie gemacht, dass ich in die Zukunft vorgreife. SN: Sie haben früh als Gitarrist in Bands zu spielen begonnen. Hätte Sie auch ein anderes Instrument zur Rockmusik locken können? Ein Schlagzeug etwa? Für mich musste es die Gitarre sein. Ihr Klang hat mich ins Mark getroffen, als die britische Popwelle in den 60er-Jahren zu uns geschwappt ist. Ich kann mich noch erinnern, wie ich beim Schulskikurs auf dem Stockbett zum ersten Mal das Gitarrenriff des Beatles-Songs „I Feel Fine“aus einem Kofferradio gehört habe. Ich habe zwei Nächte lang nicht schlafen können. John Lennon wurde für mein Leben eine der beiden wichtigsten Figuren. SN: Und die andere? Das war Leopold Figl. Wenn er und sein Team die Russen nicht überredet hätten, den Osten Österreichs freizugeben, wäre ich vielleicht in einer Art Reserve-DDR aufgewachsen. Da wäre wohl nichts gewesen mit einer E-Gitarre.
Live:
Am 15. 10. beginnt Peter Cornelius seine Tour in Linz. In der Salzburgarena gastiert er am 17. 10. (20 Uhr). Alle Termine:
WWW.PETERCORNELIUS.COM