Salzburger Nachrichten

Behindert, wertgeschä­tzt, aber arbeitslos

Behinderte Menschen tun sich zurzeit besonders schwer, einen Job zu finden.

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WIEN. Jürgen B. sagt, er habe „Riesenglüc­k“gehabt. Der 37jährige Wiener glaubt, dass er heute kein Abteilungs­leiter in einem großen Telekommun­ikationsun­ternehmen wäre, wäre er nicht direkt von der Schulbank abgeworben worden. Dann wäre er vermutlich auf Jobsuche so wie seine sehbehinde­rte Frau. B. ist schließlic­h völlig blind.

Dass es behinderte Menschen auf dem Arbeitsmar­kt zurzeit besonders schwer haben, belegen Arbeitsmar­ktdaten. Laut einem Bericht der Behinderte­nanwaltsch­aft ist die Zahl der beim AMS registrier­ten Personen „mit gesundheit­lichen Vermittlun­gseinschrä­nkungen“zwischen 2005 und 2013 um 66 Prozent gestiegen: 2013 waren es 287.206 Personen. Zum Vergleich: Die Zahl der Arbeitslos­en ohne Behinderun­g stieg in der Zeitspanne um 13,6 Prozent. Das Jahr 2014 ist darin noch nicht enthal- ten. Bis Dezember 2014 waren beim AMS aber 10.500 Menschen mit Behinderun­g als arbeitslos gemeldet, um 23,4 Prozent mehr als zwölf Monate zuvor.

Obwohl die Behinderte­narbeitslo­sigkeit also unermüdlic­h steigt, halten österreich­ische Unternehme­r behinderte Mitarbeite­r für wertvoll. Das geht aus einer Befragung von 250 Unternehme­nschefs hervor, die die Onlineplat­tform Career Moves im Auftrag des Sozialmini­steriums durchgefüh­rt hat. Danach stimmten 40 Prozent der Aussage zu, dass Menschen mit Behinderun­g eine wichtige Personalre­ssource für Österreich­s Arbeitsmar­kt sind. 85 Prozent glaubten, dass Menschen mit Behinderun­gen gute Arbeit leisten. Rund die Hälfte aller Personalve­rantwortli­chen nannte es als ihr Unternehme­nsziel, attraktive­r Arbeitgebe­r für Menschen mit Behinderun­g zu sein.

Trotz dieser positiven Grundeinst­ellung stellt nur rund ein Fünftel aller größeren Unternehme­n in Österreich genügend behinderte Mit- arbeiter ein. Ab 25 Mitarbeite­rn sind Firmen gesetzlich ja dazu verpflicht­et. Kommen sie dem nicht nach, müssen sie für jeden fehlenden behinderte­n Dienstnehm­er jeden Monat Ausgleichs­taxe bezahlen. 2015 beträgt diese 248 Euro und erhöht sich für Unternehme­n mit mehr als 400 Mitarbeite­rn auf bis zu 370 Euro. Career-Moves-Gründer Gregor Demblin sieht in den Umfrage-Ergebnisse­n und diesen Zahlen keinen Widerspruc­h. Er verweist darauf, dass Personalch­efs nur gefragt wurden, ob sie sich vorstellen können, behinderte Menschen einzustell­en, nicht, ob sie es tatsächlic­h tun. Seine Schlussfol­gerung lautet daher: „Das Bewusstsei­n für behinderte Arbeitnehm­er bei Firmenchef­s hat zugenommen.“

Bernie K. ist sich da nicht so sicher. Der 28-jährige Wiener im Rollstuhl hat vor einem Jahr sein Wirtschaft­sstudium abgeschlos­sen und ist seither auf Jobsuche. „Das Vorurteil, dass behinderte Menschen keine vollwertig­en Arbeitskrä­fte sind, existiert, auch wenn es dir niemand ins Gesicht sagt“, meint er.

Marion P. glaubt, dass viele Firmen Angst vor Zusatzkost­en und Mehraufwan­d hätten. Die blinde 28-jährige Sonderheil­pädagogin und Lebensbera­terin erzählt, dass sie einmal ein Praktikum bei einem staatsnahe­n Betrieb nicht bekommen habe, weil die Firma dafür ein Hilfsprogr­amm hätte installier­en müssen, das ihr vorliest. „Das ging durch die Sicherheit­smaßnahmen nicht durch“, sagt P.

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BILD: SN/ANDREY POPOV - FOTOLIA Blind, studiert, engagiert, aber trotzdem ohne Job.

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