Klar ist nur: Es geht um riesige Summen
SALZBURG. Die Börsenkurse rasseln weiter nach unten, in knapp zwei Wochen haben VW-Aktien bereits 43 Prozent ihres Werts verloren. Die Klagen häufen sich. „Die deutsche Parade-Marke Volkswagen ist schwer beschädigt“, sagt Jürgen Gietl, Markenexperte des Beraters BrandTrust. „Der Vorteil von VW ist aber, dass man über Jahre mit Spitzenleistungen eine sehr starke Marke aufgebaut hat.“Das zerstöre man nicht von einem Tag auf den nächsten. „Es ist ja nicht so, wie viele jetzt tun, dass die Marke VW schon vorher angekratzt war.“Noch im August war VW der beliebteste der 30 im deutschen Aktienindex DAX notierten Konzerne. Auch das neueste Marken-Ranking von Eurobrand sieht in VW mit einem Markenwert von über 27 Mrd. Euro die wertvollste deutsche Marke, weltweit rangiert man auf Platz 24.
Der Dieselskandal sei da freilich noch nicht eingerechnet, meint Eurobrand-Chef Gerhard Hrebicek. Und der werde den Markenwert um Milliarden verringern, wenn auch nicht ganz in dem Ausmaß, wie die Börsenkurse einbrachen. „Marken sind lang gelernte Werte. Und Kunden vergessen rasch.“Das zeige die Umweltkatastrophe bei der Ölplattform „Deepwater Horizon“2010. Da verlor BP zwar 21 Prozent an Markenwert, erholte sich aber rasch. „Mercedes ging aus dem Debakel beim Elchtest sogar gestärkt hervor.“Auch klemmende Gaspedale bei Toyota (2010) und defekte Zündschlösser bei GM (2014) verursachten keinen langfristigen Imageschaden – trotz Millionen-Rückru- fen und Milliarden-Strafzahlungen.
An ein schnelles Vergessen glaubt der deutsche Markenexperte Gerhard Keim dagegen nicht, weil sich negative Nachrichten stärker einprägten als positive. Aber genau das könne für eine althergebrachte Marke wie VW eine Chance sein. Eine etablierte und gediegene Marke wie VW könne sich damit auch „ein neues, zeitgemäßeres Profil geben“, wenn man aktiv und transparent einen offenen Dialog mit Kunden aufnehme. „Es genügt nicht, Köpfe auszutauschen, man muss vor allem anders mit der Öffentlichkeit und den Kunden umgehen“, etwa mit einem interaktiven Dialog über soziale Medien, sagt Keim. Ähnlich sieht das Oliver Heiss von der Brandingagentur Brainds. „Es muss Ände- rungen im Leistungs- und Produktportfolio geben.“Denn das Beseitigen der Krise sei noch nicht die Reparatur. „Erst muss man das Leck flicken, aber dann muss man noch das Wasser auspumpen.“
Bisher habe VW bei der Aufarbeitung des Skandals viel richtig gemacht, analysiert Krisen-PR-Profi Alfred Autischer, streng nach den drei R-Regeln des Krisenmanagements: „regret“, die Schuld wurde eingestanden, „react“, personelle Veränderungen durchgezogen und begonnen, Klarheit zu schaffen („reinform“). „Die große Frage bleibt: Wieso war man so unvorbereitet, hat man wirklich geglaubt, das unter den Tisch kehren zu können?“Dass die Konzernspitze nichts wusste, sei nicht glaubwür- dig. Eine große Rückholaktion könne VW bewältigen, sagt Autischer. Das Thema Schadenersatz werde den Konzern dagegen noch Jahre beschäftigen. Der Reputationsschaden sei nicht exakt vorherzusagen. „Ist das Thema in einem Monat aus den Medien, hat man in einem halben Jahr das Ärgste überwunden.“
Schon jetzt würden in sozialen Medien positive Meldungen überwiegen, sagt auch Gietl. „VW fahren macht Spaß“werde gepostet, getürkte Abgaswerte störten viele Autofahrer dabei nicht. VW müsse sich aber auf eine längere Phase mit höhnischen Bemerkungen gefasst machen, meint Heiss. Erste VWWitze sind im Umlauf.
Die Marke VW sieht Gietl aus anderen Gründen in Gefahr. „Der Kon- Fahrer und Aktionäre wollen Entschädigungen, Staaten kündigen Strafen an und fordern Steuernachzahlungen. Der dickste Brocken erwartet VW dabei wohl in den USA. Die Strafe für Manipulationen liegt hier bei bis zu 18 Mrd. Dollar (16 Mrd. Euro). In Deutschland gab es am Freitag auch die erste Klage eines Aktionärs. Als börsenotiertes Unternehmen ist VW verpflichtet, Anleger über wesentliche Ereignisse in Ad-hoc-Meldungen zu informieren. Das sei nicht passiert. In Österreich hat der Verein für Konsumenteninformation angekündigt, Schadenersatzklagen zu prüfen. 363.400 Autos sind hier betroffen. zern hat gesellschaftlich relevante Themen wie E-Mobilität, autonomes Fahren und neue Mobilitätsformen zu wenig ernst genommen.“Das sieht er auch als Ursache der kriminellen Handlungen: Statt auf Herausforderungen mit neuen Produkten zu reagieren, habe man getrickst. In Zeiten, in denen sich immer mehr Kunden vorstellen können, ein Apple-Auto zu fahren, sei die gesamte Branche unter Druck.
Beschädigt ist für Gietl auch die Marke „Made in Germany“. Deutsche Betriebe hätten darauf ohnehin zu lange gesetzt: Die Technologieführerschaft habe Deutschland in vielen Bereichen verloren, auch Qualität hätten die Asiaten längst gelernt. „Und deutsche Zuverlässigkeit ist spätestens jetzt angekratzt.“