Durch Eid als Frau ein Mann sein
Im nördlichen Albanien leben Frauen als Männer. Eine Fotografin hat ihre Porträts eingefangen.
Eine Familie ohne Mann gilt als entehrt. Bis heute hat dieser Standpunkt in Nordalbanien Gültigkeit. Um den Verlust der Familienehre zu verhindern, schwören Jungfrauen einen Eid, der sie für immer zum Mann macht. Zumindest im sozialen Leben, denn Sexualität ist für Schwurjungfrauen tabu. Die vielfach ausgezeichnete Fotografin Pepa Hristova hat Porträts dieser „Burrneshas“eingefangen, die ab heute, Donnerstag, in der ARGE im Open Mind Festival gezeigt werden. SN: Was hat Sie bewogen, das Phänomen fotografisch zu dokumentieren? Hristova: Der Balkan ist meine Heimatregion, die ich für meine Arbeit wiederholt als Schaffensort ausgewählt habe, um mich mit meinen Wurzeln auseinanderzusetzen. Viele der dortigen Werte verstehe ich als mittlerweile westlich sozialisierte Person nicht. Es herrscht noch eine enorme Kluft zwischen ländlicher und urbaner Bevölkerung in dieser Gegend, was ihre Explosivität ausmacht. SN: Sie selbst haben Ihr Heimatland Bulgarien Mitte der 1990er-Jahre verlassen. Der Entschluss kam während der Hyperinflation, als die zweite sozialistische Regierung durch Studentenproteste gestürzt wurde. Ich war ausgebrannt vom alltäglichen Durchhaltenmüssen, wollte kreativ arbeiten und frei sein. Doch das Interesse für die Region ist geblieben. Vielleicht auch, weil sich mein Blick durch die Distanz geöffnet hat. Bei den Mann-Frauen interessierte mich das Thema der Identität, vielleicht weil ich meine bei der Auswanderung nach Deutschland aufgegeben hatte. SN: Wie kam der Kontakt mit den Schwurjungfrauen zustande? Ich recherchiere nie vom Schreibtisch aus, sondern vor Ort und frage mich dann durch. Dabei passieren stets kleine Wunder, eines führt zum anderen. SN: Waren die Reaktionen auf Ihre Kontaktaufnahme durchwegs positiv? Nein, viele verstanden anfangs nicht, was ich will, denn MannFrauen sind dort normal. Aber ich lasse mir Zeit, oft einige Tage, fotografiere nie sofort, sondern erkläre genau, was ich vorhabe. Dank meiner Herkunft habe ich ein besseres Verständnis der Mentalität. Zudem fühlten sie sich durch meine Aufmerksamkeit akzeptiert. SN: Gab es Schwurjungfrauen, die ein Porträt ablehnten? Eine Mann-Frau, die an Brustkrebs litt, lehnte das Porträt aus Scham ab. Brustkrebs ist eine Frauenkrankheit, sie lebt aber als sozialer Mann, ein Dilemma. SN: Selbst Frauenkrankheiten sind also „verboten“? Die Authentizität, mit der sie ihre Rolle leben, ist schwer vorstellbar, wenn man es nicht erlebt hat. Als Westler will man anfangs wissen, ob sie wirklich keinen Sex haben, nie verliebt waren etc. Diese Fragen wurden immer unwichtiger, da es sie entehrt, darüber zu reden. Ich akzeptiere diese fremde Welt, ohne sie mit meinem Maßstab zu beurteilen. Wie stark muss man sein, um sein Wort zu geben und es zu halten, ein Leben lang? SN: Der Eid bewahrt die Ehre der Familie. Aber ist es auch ein Weg für diese Frauen, ein emanzipiertes Leben zu führen? Ursprünglich basiert dieses Phänomen auf dem Kanun, einem mündlich überlieferten Gewohnheitsrecht, das auch die Blutrache erlaubt und wodurch viele Familien ihr männliches Oberhaupt verlieren. Sicherlich gibt es mittlerweile die moderne Dimension der Selbstverwirklichung. Die Motivationen variieren. SN: Es existieren nur noch einige Dutzend der Mann-Frauen. Wird dieses Phänomen in naher Zukunft verschwinden? Ich würde sagen ja, jedoch habe ich bei meinem letzten Besuch in Nordalbanien 2010 festgestellt, dass viele junge Menschen aufgrund der extrem prekären Situation in den Großstädten gezwungen sind, wieder aufs Land zurückzukehren, um zu überleben. Sie sind aufgeklärt und ordnen sich dennoch wieder in die Gesetze des rigiden Patriarchats ein. SN: Sie touren weltweit mit der Serie. Warum wurden die Bilder nie in Albanien gezeigt? Ich wollte mein Buch, das 2013 erschienen ist, in Albanien vorstellen, aber der Plan ist an der Finanzierung gescheitert. Von albanischen Institutionen gibt es kein Interesse, obwohl die Ausstellung international höchst erfolgreich läuft. Ich denke, dass man diesen Blick auf das eigene Land nicht sehen will, sondern sich vielmehr modern präsentieren möchte. SN: In Salzburg wird die Ausstellung von einem Vortrag begleitet. An solchen Abenden entsteht oft eine große Diskussion über Geschlechterrollen und soziale Prägung. Obwohl es keine Ergebnisse gibt, habe ich mein Ziel erreicht, wenn man darüber nachdenkt. Ich leiste jedoch keine Aufklärungsarbeit. Fotografie ist total subjektiv. Im Grunde ist es nur der Fotograf, den man sieht.
Ausstellung: „Sworn Virgins“,