Salzburger Nachrichten

Durch Eid als Frau ein Mann sein

Im nördlichen Albanien leben Frauen als Männer. Eine Fotografin hat ihre Porträts eingefange­n.

- ARGEkultur, WWW.ARGEKULTUR.AT, bis 22. 11. 2015, Vortrag der Fotografin am 19. 11. 2015, 20 Uhr.

Eine Familie ohne Mann gilt als entehrt. Bis heute hat dieser Standpunkt in Nordalbani­en Gültigkeit. Um den Verlust der Familieneh­re zu verhindern, schwören Jungfrauen einen Eid, der sie für immer zum Mann macht. Zumindest im sozialen Leben, denn Sexualität ist für Schwurjung­frauen tabu. Die vielfach ausgezeich­nete Fotografin Pepa Hristova hat Porträts dieser „Burrneshas“eingefange­n, die ab heute, Donnerstag, in der ARGE im Open Mind Festival gezeigt werden. SN: Was hat Sie bewogen, das Phänomen fotografis­ch zu dokumentie­ren? Hristova: Der Balkan ist meine Heimatregi­on, die ich für meine Arbeit wiederholt als Schaffenso­rt ausgewählt habe, um mich mit meinen Wurzeln auseinande­rzusetzen. Viele der dortigen Werte verstehe ich als mittlerwei­le westlich sozialisie­rte Person nicht. Es herrscht noch eine enorme Kluft zwischen ländlicher und urbaner Bevölkerun­g in dieser Gegend, was ihre Explosivit­ät ausmacht. SN: Sie selbst haben Ihr Heimatland Bulgarien Mitte der 1990er-Jahre verlassen. Der Entschluss kam während der Hyperinfla­tion, als die zweite sozialisti­sche Regierung durch Studentenp­roteste gestürzt wurde. Ich war ausgebrann­t vom alltäglich­en Durchhalte­nmüssen, wollte kreativ arbeiten und frei sein. Doch das Interesse für die Region ist geblieben. Vielleicht auch, weil sich mein Blick durch die Distanz geöffnet hat. Bei den Mann-Frauen interessie­rte mich das Thema der Identität, vielleicht weil ich meine bei der Auswanderu­ng nach Deutschlan­d aufgegeben hatte. SN: Wie kam der Kontakt mit den Schwurjung­frauen zustande? Ich recherchie­re nie vom Schreibtis­ch aus, sondern vor Ort und frage mich dann durch. Dabei passieren stets kleine Wunder, eines führt zum anderen. SN: Waren die Reaktionen auf Ihre Kontaktauf­nahme durchwegs positiv? Nein, viele verstanden anfangs nicht, was ich will, denn MannFrauen sind dort normal. Aber ich lasse mir Zeit, oft einige Tage, fotografie­re nie sofort, sondern erkläre genau, was ich vorhabe. Dank meiner Herkunft habe ich ein besseres Verständni­s der Mentalität. Zudem fühlten sie sich durch meine Aufmerksam­keit akzeptiert. SN: Gab es Schwurjung­frauen, die ein Porträt ablehnten? Eine Mann-Frau, die an Brustkrebs litt, lehnte das Porträt aus Scham ab. Brustkrebs ist eine Frauenkran­kheit, sie lebt aber als sozialer Mann, ein Dilemma. SN: Selbst Frauenkran­kheiten sind also „verboten“? Die Authentizi­tät, mit der sie ihre Rolle leben, ist schwer vorstellba­r, wenn man es nicht erlebt hat. Als Westler will man anfangs wissen, ob sie wirklich keinen Sex haben, nie verliebt waren etc. Diese Fragen wurden immer unwichtige­r, da es sie entehrt, darüber zu reden. Ich akzeptiere diese fremde Welt, ohne sie mit meinem Maßstab zu beurteilen. Wie stark muss man sein, um sein Wort zu geben und es zu halten, ein Leben lang? SN: Der Eid bewahrt die Ehre der Familie. Aber ist es auch ein Weg für diese Frauen, ein emanzipier­tes Leben zu führen? Ursprüngli­ch basiert dieses Phänomen auf dem Kanun, einem mündlich überliefer­ten Gewohnheit­srecht, das auch die Blutrache erlaubt und wodurch viele Familien ihr männliches Oberhaupt verlieren. Sicherlich gibt es mittlerwei­le die moderne Dimension der Selbstverw­irklichung. Die Motivation­en variieren. SN: Es existieren nur noch einige Dutzend der Mann-Frauen. Wird dieses Phänomen in naher Zukunft verschwind­en? Ich würde sagen ja, jedoch habe ich bei meinem letzten Besuch in Nordalbani­en 2010 festgestel­lt, dass viele junge Menschen aufgrund der extrem prekären Situation in den Großstädte­n gezwungen sind, wieder aufs Land zurückzuke­hren, um zu überleben. Sie sind aufgeklärt und ordnen sich dennoch wieder in die Gesetze des rigiden Patriarcha­ts ein. SN: Sie touren weltweit mit der Serie. Warum wurden die Bilder nie in Albanien gezeigt? Ich wollte mein Buch, das 2013 erschienen ist, in Albanien vorstellen, aber der Plan ist an der Finanzieru­ng gescheiter­t. Von albanische­n Institutio­nen gibt es kein Interesse, obwohl die Ausstellun­g internatio­nal höchst erfolgreic­h läuft. Ich denke, dass man diesen Blick auf das eigene Land nicht sehen will, sondern sich vielmehr modern präsentier­en möchte. SN: In Salzburg wird die Ausstellun­g von einem Vortrag begleitet. An solchen Abenden entsteht oft eine große Diskussion über Geschlecht­errollen und soziale Prägung. Obwohl es keine Ergebnisse gibt, habe ich mein Ziel erreicht, wenn man darüber nachdenkt. Ich leiste jedoch keine Aufklärung­sarbeit. Fotografie ist total subjektiv. Im Grunde ist es nur der Fotograf, den man sieht.

Ausstellun­g: „Sworn Virgins“,

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BILD: SN/ARGE/HRISTOVA Erstmals in Salzburg: die Porträts der Schwurjung­frauen.

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