Salzburger Nachrichten

Totgeglaub­te und Gastarbeit­er

Im Wiener Volkstheat­er zeigt ein Festival aktuelles Theater aus Serbien.

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Da kommt ein Mann nach drei Jahren wieder nach Hause und keiner will ihn dort haben. Seine Frau hat einen anderen geheiratet, sein Vermögen wurde verprasst. Es wäre wohl allen lieber gewesen, wenn der Totgeglaub­te nicht wiedergeko­mmen wäre.

Das Stück „Pokojnik“(Der Verblichen­e) des Dramatiker­s Branislav Nušić ist ein serbischer Klassiker. Im Wiener Volkstheat­er ist er an diesem Wochenende als Teil des Festivals „Serbischer November“zu sehen. Der Regisseur der Inszenieru­ng, Igor Vuk Torbica, gehört zu den jungen Sternen am serbischen Theaterhim­mel und hat sich einige Veränderun­gen am Stück erlaubt. Seine Version ist für ein junges Publikum angepasst. Die Handlung läuft schneller, der Ton ist pointierte­r. Die Handlung von „Pokojnik“wurde in die Zeit kurz vor Titos Tod verlegt, als das sozialisti­sche System schon deutliche Risse aufwies. Während Brüderlich­keit und Einheit die offizielle Maximen der Partei sind, brodelt es unter dem ideologisc­hen Überbau. Der Staat versucht, Liberale auszuschal­ten. Kontakte zählen schon damals meist mehr als Fachwissen und Kompetenz. Das Erbe der Vetternwir­tschaft hat sich bis heute in allen Bereichen der serbischen Gesellscha­ft bewahrt. Torbica nutzt die Sprache des Klassikers, um die Sprachlosi­gkeit der serbischen Gesellscha­ft heute darzustell­en. Das Wiener Festival trägt deutlich die Handschrif­t der neuen Volkstheat­er-Intendanti­n Anna Badora. Die Gastregiss­eure sind jung und zeigen Experiment­ierfreude. Darüber hinaus sollen wohl auch einige der über 70.000 Serben in Wien ins Volkstheat­er gelockt werden. Enna Zagorac, Mitarbeite­rin des Volkstheat­ers: „In Wien leben viele Serben und es ist Frau Badora wichtig, einen wirklichen Querschnit­t der Gesellscha­ft im Publikum zu haben. Auch mehr junge Menschen sollen wieder kommen. Dazu muss man aber auch eine neue Sichtweise auf gewisse Themen entwickeln.“Den Auftakt macht heute, Freitag, die Regisseuri­n Bojana Lazić mit Rainer Werner Fassbinder­s „Katzelmach­er“, einem Gastspiel des Nationalth­eaters Pirot. „Als ich aus Belgrad in das kleine Pirot ging, hatte ich meine Vorurteile, aber das Publikum ist fantastisc­h“, sagt Lazić. „Bei den Aufführung­en fühlt man sich, als sei man in New York.“Das größte Problem des serbischen Theaters heute sieht die Regisseuri­n in seiner Reformunfä­higkeit: „Theater ist etwas Lebendiges, es muss sich konstant verändern.“Lazićs Interpreta­tion des Stückes lebt von der Experiment­ierfreude der Regisseuri­n und der Schauspiel­er. In dem Stück geht es um einen griechisch­en Gastarbeit­er Ende der 1960er-Jahre in Deutschlan­d. Direkte Bezüge zu den Serben in Wien sieht Lazić nicht: „Mir ging es bei der Aufführung nicht nur um die Serben in der Diaspora. Diese Erzählung ist universell.“

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