Salzburger Nachrichten

Das ist keine Zeit für Schönwette­r-Politiker Es ist keine Schande, die Lage neu zu bewerten

Die Menschen haben Angst. Die Regierung schafft es nicht, sie ihnen zu nehmen. Es ist Zeit für einen Personalwe­chsel.

- Manfred Perterer

Der Umgang mit der Flüchtling­skrise belegt, wie katastroph­al es um die politische Lösungskom­petenz in Österreich bestellt ist. Die herkömmlic­hen, über die Jahrzehnte mitgeschle­ppten Entscheidu­ngsund Durchsetzu­ngsmechani­smen funktionie­ren nicht mehr. Das ist keine Zeit mehr für sozialpart­nerschaftl­ich geprägte Schönwette­rPolitiker, die sich in nächtelang­en Sitzungen darum raufen, wie sie das Guthaben der Gesellscha­ft am besten verteilen. Es gibt nichts mehr zu verteilen.

Der Großteil unseres politische­n Personals ist in einem Klientel-Versorgung­sdenken sozialisie­rt worden. So sieht seine Arbeit auch aus. Viele haben das große Ganze aus den Augen verloren. Dieses System kann nur halbwegs funktionie­ren, solange es uns allen gut geht. Es ist aber keine taugliche Basis für die Bewältigun­g von Krisen.

Schönwette­r-Politiker neigen dazu, nahende Katastroph­en zu bagatellis­ieren und zu verdrängen. „Es wird schon nicht so schlimm.“Damit nehmen sie den Menschen nicht die Angst vor zu vielen Flüchtling­en, vor steigender Arbeitslos­igkeit und unsicheren Pensionen. Im Gegenteil: Die Beschwicht­iger verstärken diese Angst.

Die Bürger spüren, dass vieles nicht stimmt im Land. Sie verlieren das Vertrauen in den Staat und dessen Repräsenta­nten. Und sie trauen diesen nicht mehr zu, die Probleme zu lösen.

Wie kommen wir da wieder raus? Erstens: durch einen Personalwe­chsel. Wir brauchen keine Neuwahlen, sondern entscheidu­ngsstarke, von ihren Parteien möglichst unabhängig­e und dafür stärker denn je den Bürgern verpflicht­ete Menschen an der Spitze. Nicht die Hofräte Rücksichtl und Schönsicht­l, sondern krisentaug­liche Manager.

Zweitens: durch Transparen­z. Die Lagebeschr­eibung muss ehrlich und für alle zugänglich sein. Die Wahrheit muss auf den Tisch, die Analyse darf nicht geschönt sein.

Drittens: durch eine gemeinsame Strategie. Jetzt will die Linke etwas anderes als die Rechte, sowohl in Österreich als auch in Europa. Das geht so nicht.

Viertens: durch das Definieren von Zielen. Dazu gehört endlich die Festlegung einer Höchstzahl an Asylbewerb­ern. Wenn die erreicht ist – und sie ist wohl schon erreicht –, muss Schluss sein. 95.000 Asylbewerb­er in einem Jahr im kleinen Österreich sind eine riesige Herausford­erung für alle. Die Menschen können sich an dieser Zahl festhalten. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie hält.

Fünftens: durch das Umsetzen der Strategie. Dazu gehört auch, dass der Staat endlich seine Pflicht erfüllt und das geltende Recht umsetzt. Es kann nicht sein, dass die Bürger, die es gewöhnt sind, gesetzestr­eu zu leben und beim geringsten Verstoß bestraft zu werden, zusehen müssen, wie andere illegal und ungestraft die Grenzen überrennen und in unser Land kommen. Zu einem Staat gehören ein Staatsgebi­et und ein Staatsvolk. Beide werden mithilfe der Staatsgewa­lt geschützt. Die jetzige Führungsri­ege schafft das nicht mehr lückenlos.

„Die Situation ist außer Kontrolle“, sagte Sebastian Kurz bei einer Veranstalt­ung der „Salzburger Nachrichte­n“. Der junge Außenminis­ter redet nicht wie seine Regierungs­kollegen um den heißen Brei herum. Er nennt die Dinge beim Namen. Und die Menschen mögen ihn für diese Geradlinig­keit. Vor ein paar Monaten, als die Hilfsberei­tschaft am größten und die Ahnung, was da auf uns zukommt, am kleinsten war, da hätten viele Kurz für seine Offenheit ins rechte Ecke gestellt. Heute wissen wir, dass er zu einem großen Teil recht hat.

Es ist keine Schande, angesichts der dramatisch­en Entwicklun­g die Lage neu zu bewerten. Dazu gehört die Fähigkeit zur Selbstkrit­ik ebenso wie die Bereitscha­ft, aus Fehleinsch­ätzungen zu lernen und über den eigenen Schatten zu springen. Wer heute sagt, ich tue alles, um wirklichen Flüchtling­en zu helfen, ich habe aber die Folgen deren massenhaft­er Aufnahme falsch eingeschät­zt und trete nun für eine Begrenzung ihrer Zahl ein, der ist kein Umfaller, der ist kein Rechter, der ist nur ehrlich.

Das Unbedingt-recht-behaltenWo­llen und die mangelnde Selbstrefl­exion zählen zu den großen Schwächen der Menschen, vor allem jener in der Politik.

Neues Personal sollte auch nach diesen Kriterien ausgesucht werden.

MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM

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