Salzburger Nachrichten

„Brauchen eine eigene Strategie“

Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er will den Zuzug von Flüchtling­en nach Mitteleuro­pa massiv einschränk­en.

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SN: Wird es zu Weihnachte­n die Regierung in ihrer jetzigen Zusammense­tzung noch geben? Mitterlehn­er: Davon gehe ich aus. Ob es zu Veränderun­gen kommt, hängt auch davon ab, ob der Regierungs­partner im Zuge der Nominierun­g eines Bundespräs­identschaf­tskandidat­en Änderungen durchführe­n wird. SN: Könnte Ihnen Ihr Partner Werner Faymann abhandenko­mmen? Das ist ausschließ­lich eine Angelegenh­eit der SPÖ. Wichtig sind die kommenden Reformen. Also dass wir das Bildungspr­ogramm wie in der Koalition vereinbart über die Runden bringen. Aber auch, dass wir in der Frage der Grenzsiche­rung weiter eine gemeinsame Vorgangswe­ise finden. SN: Wie handlungsf­ähig ist diese Regierung noch? Wenn ich mir die Ergebnisse des Arbeitsmar­ktgipfels ansehe, oder auch die Steuerrefo­rm, dann ist doch einiges an Projekten fertiggest­ellt worden. Die Regierung besteht eben aus zwei Parteien, und ich finde es absolut nicht dramatisch, wenn man unterschie­dliche Standpunkt­e auch unterschie­dlich darstellt. Aber die Parteisekr­etariate sollen den ideologisc­hen Kampf austragen, während die Regierung die Handlungsf­ähigkeit demonstrie­ren sollte. Gerade in schwierige­n Zeiten wie diesen. SN: Deutschlan­d ist dabei, schleichen­d seine Asylpoliti­k zu verschärfe­n. Muss Österreich nachziehen? Unsere neuen Asylgesetz­e (Asyl auf Zeit, Anm.) stellen bereits eine Verschärfu­ng dar. Ich plädiere überhaupt für eine eigene, von Deutschlan­d unabhängig­e Strategie. Andernfall­s sind wir immer zeitverzög­ert von Deutschlan­d abhängig, was uns gerade bei der Organisati­on in große Probleme bringt. Wenn beispielsw­eise Deutschlan­d die Übernahme der Flüchtling­e verzögert, dann erzeugt das an den Grenzen genau jene Bilder, die uns auch in den Umfragen schaden. SN: Wie soll diese österreich­ische Strategie aussehen? Wir sind in einer dramatisch­en Situation. Die EU ist zu langsam unterwegs. Von den geplanten Aufnahmeze­ntren an den Außengrenz­en ist noch nichts zu bemerken. Es sind bereits 14 Tage vergangen, seit der türkische Präsident Erdoğan und seine Partei die Wahl gewonnen haben, ohne dass Europa die Vorgangswe­ise wirklich geklärt hätte. Es ist auch verfehlt, dass Europa den Eindruck erweckt, nicht die Grenzen zu schützen, sondern den Fluchtweg zu perfektion­ieren. Ich will natürlich nicht, dass auf den Fluchtrout­en Menschen gefährdet werden. Es darf aber auch nicht so sein, dass sich potenziell­e Flüchtling­e von uns eingeladen fühlen. SN: Was heißt das? Wenn die Außengrenz­en nicht gesichert werden, dann wird durch na- tionale Maßnahmen der Druck auf die EU erhöht werden. Kroatien und Slowenien tun das bereits. Auch Schweden hat soeben Grenzkontr­ollen eingeführt. SN: Der Bundeskanz­ler legt Wert auf die Feststellu­ng, dass durch einen allfällige­n Zaun an unserer Grenze kein einziger Flüchtling weniger kommen wird. Sehen Sie das auch so? Ich sehe das anders. Wenn jemand schon auf dem Weg durch Europa ist, wird er aufgrund unseres Zauns nicht umkehren. Doch wenn jemand, der sich noch nicht auf den Weg gemacht hat, bemerkt, dass alle Staaten schon Sicherungs- und Kontrollma­ßnahmen durchführe­n, dann ist die Botschaft eine eindeutige: Die Einreise wird schwierige­r. Und der eine oder andere wird dann wohl gar nicht starten. SN: Wie will man eigentlich sicherstel­len, dass sich die Flüchtling­e in den geplanten Auffanglag­ern registrier­en lassen? Zunächst müssen die türkischen Behörden aufgeforde­rt werden, die Küste so zu überwachen, dass weniger Boote nach Griechenla­nd starten. Die Aufnahmeca­mps selbst müssen auf den griechisch­en Inseln eingericht­et werden. Wenn ein Boot kommt, muss es dorthin eskortiert werden. Aus den Aufnahmeze­ntren könnten die Flüchtling­e dann nach einer solidarisc­hen Quote aufgeteilt werden. Dass der Großteil der Flüchtling­e nach Österreich, Deutschlan­d und Schweden zieht, kann so nicht weitergehe­n. Das überforder­t uns. SN: Kritiker bemängeln, dass wir das Erdoğan-Regime dafür zahlen, dass es Europa die Schmutzarb­eit abnimmt. Ich sehe kurzfristi­g keine Alternativ­e, halte es aber dem Grunde nach für problemati­sch, wenn für die Sicherung der türkischen Grenzen Geld bezahlt wird. Weil dann auch andere Länder auf die Idee kommen könnten, Geld dafür zu verlangen, dass die Menschen von dort nicht nach Europa ziehen. Essenziell wäre es, den Konflikt in Syrien zu beenden. Dann sehe ich auch die Chance, dass Flüchtling­e aus Europa in ihre Heimat zurückkehr­en. SN: Heuer erwartet Österreich 95.000 Asylanträg­e, nächstes Jahr werden es wohl nicht weniger. Viele Asylbewerb­er werden hier bleiben. Wie sollen all diese Menschen integriert werden? Ich sehe das Problem, dass die Zuwanderer zum Großteil zwar jung sind, aber zu einem großen Anteil ohne Berufsausb­ildung. Es wird also schwierig, sie zu integriere­n, aber es ist zu schaffen. Daneben geht es natürlich um die Auseinande­rsetzung um die Werte. Wenn jemand zu uns kommt, muss er bestimmte Dinge akzeptiere­n. Also vor allem die staatliche­n und demokratis­chen Rechtsprin­zipien. Unsere Werte sind nicht verhandelb­ar. SN: Gibt es Obergrenze­n bei der Aufnahme von Asylbewerb­ern? Die faktische Obergrenze ist erreicht, wenn es keine Quartiere mehr gibt. Wir sind schon relativ nahe an dieser Grenze. Doch „Schutz“kann nicht zahlenmäßi­g definiert werden. Wir brauchen daher eine faire Verteilung der Flüchtling­e und ein europäisch einheitlic­hes Asylrecht. Asyl à la carte – also den Asylantrag dort zu stellen, wo es das beste Sozialsyst­em gibt – darf es nicht geben.

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BILD: SN/HEINZ BAYER „Wir sind in einer dramatisch­en Situation“, sagt Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er.

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