Oppositionschefin schafft den Sprung an die Macht
Aung San Suu Kyi muss sich nun aber mit dem gedemütigten Militär in Myanmar (früher Burma) verständigen.
Auf den Tag genau fünf Jahre nach ihrer Freilassung aus jahrelangem Hausarrest hat Myanmars Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi die letzte Hürde auf dem Weg zur Machtübernahme genommen. Ihre Partei Nationalliga für Demokratie (NLD) sicherte sich am Freitag die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Damit kann sie den Präsidenten bestimmen und die nächste Regierung führen.
Rund 30 Millionen Wähler hatten vergangenen Sonntag erstmals seit 1990 frei das Parlament wählen können. Sie erteilten der militärnahen Regierungspartei USDP eine klare Absage. Suu Kyi (70) hatte ihre Anhänger schon Anfang der Woche aufgerufen, nicht in Siegestaumel zu verfallen. Das verletze die Gefühle der Verlierer. Suu Kyi ist auf die Kooperation mit der USDP und dem nach wie vor mächtigen Militär angewiesen. Sie hatte 1990 auch gewonnen, allerdings weigerte sich das Militär damals, die Macht abzugeben.
Jahrelang redeten Aung San Suu Kyi und Myanmars Generäle überhaupt nicht miteinander. Seit der Wahl vom vorigen Sonntag kommunizieren sie per Facebook. Die NLD unter der Führung der „Lady“Suu Kyi verschickte Mitte der Woche drei Briefe, in denen Militärchef Min Aung Hlaing, Präsident Thein Sein und der noch amtierende Parlamentschef Shwe Man zu Gesprächen über „nationale Versöhnung“eingeladen wurden. Die drei Männer antworteten freundlich per Facebook und gratulierten Aung San Suu Kyi zum Wahlerfolg.
Mit der Höflichkeit dürfte es vorbei sein, wenn die Machthaber des Landes sich hinter verschlossenen Türen zum direkten Gespräch mit der 70-jährigen Witwe treffen, die nach einem Vierteljahrhundert währenden Kampf und Jahren im Gefängnis oder Hausarrest nun endlich die politische Regie übernehmen will. Die „grünen Geister“, wie aktive und pensionierte Militärs wegen der Farbe ihrer Uniform genannt werden, müssen mit einer verheerenden Demütigung an den Wahlurnen zurechtkommen.
Noch machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Denn dank ihrer garantierten Quote von 25 Prozent der Parlamentssitze können die Offiziere weiterhin jede Änderung an der Verfassung blockieren. Sie wurde 2008 mit dem offiziellen Ziel verkündet, eine „kontrollierte Demokratie“zu gewährleisten. In erster Linie war damit die Verhinderung einer Machtübernahme durch die NLD gemeint.
So kann Suu Kyi wegen ihrer Ehe mit einem Briten nicht das höchste Amt im Staat übernehmen. Die Militärs haben das Recht, den Minister für die Grenzsicherung, den Verteidigungsminister und den Innenminister zu benennen. Letzterer kontrolliert die Verwaltung des Landes.
Der massive Wahltriumph von Aung San Suu Kyi stellt diese Strategie auf den Kopf. Die Militärpartei USDP muss sich freuen, wenn sie mithilfe von ein paar schmutzigen Tricks während der ansonsten glaubwürdigen Wahl auf zehn Prozent kommt. Schon die Ankündigung von Aung San Suu Kyi vor der Wahl, einen ihr politisch zugewandten Präsidenten von ihren Gnaden zu installieren, erregte den Argwohn und Ärger der Generäle.
Die wenigen Wähler, die ihre Stimme nicht für die NLD abgaben, führten ein großes Manko ins Feld: Aung San Suu Kyi steht allein und verfügt gegenwärtig über keine fachkundige Mannschaft für die Herausforderungen der Zukunft.
Aung San Suu Kyi spricht von nationaler Versöhnung. Sie dürfte freilich nur beginnen, wenn eine Bestrafung von Offizieren für Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung der vergangenen Jahrzehnte ausgeschlossen bleibt. Es ist sogar fraglich, ob Aung San Suu Kyi die Größe und die Kraft besitzt, sich gegen die systematische Diskriminierung und Verfolgung der muslimischen Minderheit durch rabiate nationalistische buddhistische Mönche zu stemmen.