Wagner verirrt sich im Surrealismus
Marc Minkowski und Oliver Py versuchten sich an der Urfassung von „Der fliegende Holländer“.
Später hat Richard Wagner seinen jugendlichen Überschwang eingesehen und das „Blech“herausgenommen, das selbst ihm zu laut vorkam. Vier Fassungen gibt es vom „Fliegenden Holländer“, mit dem der junge Feuergeist und „Wirtschaftsflüchtling“aus Sachsen in Paris Opernkarriere machen wollte, nun kann man die Urfassung hören, wenn man ins Theater an der Wien pilgert. Zu bewundern sind vor allem die Sänger, die dem nahezu unmenschlichen Druck, den Marc Minkowski mit Les Musiciens du Louvre im Orchestergraben entfaltet, standhalten. Ingela Brimberg und Samuel Youn als Senta und Holländer schreien sich gegen Ende fast die Seele aus dem Leib.
Regisseur Olivier Py verzichtet darauf, eine lineare Gruselgeschichte zu erzählen und spannt die Handlung zwischen Theater und Schiff auf, flüchtet sich in Surrealismus, gewürzt à la Stanley Kubrick, und setzt eine satanische, tänzerische Figur ein. Dieser halb nackte Mann schminkt sich zu Beginn schwarz und taucht immer wieder als Triebfeder und Spiegelung auf. Die Bühne von Pierre-André Weitz ist eine raffinierte Bretterkonstruktion, die wie ein hoher Bug wirken kann, sich zu verschiedenen Räumen öffnet oder gar in labyrinthische Teile auflöst. Was ganz hinten wie ein bleicher Vollmond wirkt, entpuppt sich zuletzt als monumentaler Totenschädel. Die Drehbühne ist in Dauerstress und verlangt von Senta unbequeme Kletterpartien.
Totenkopfzeichnungen klebte vorher schon der rätselhafte Tänzer an die Wand, während eine sichtbar gequälte Senta mit Kreide „Erlösung“an die Bretterwand schrieb. Senta erhält eine Doppelgängerin, die anfangs als Leiche abgelegt wird, als Engel auftaucht und als nackte Männerfantasie für Irritation sorgt. Olivier Pys Behauptung, dass sie sich als Künstlerin sieht und die graue Leinwand – üblicherweise das Holländer-Porträt – als Projektion und Fluchtpunkt aus der ungeliebten engen Gesellschaft nimmt, erschließt sich szenisch nicht. Aber das ist nur einer der rätselhaften Momente, die aus einem Sammelsurium an Regieideen nebeneinander für sich stehen.
Der Arnold Schoenberg Chor (Abteilung Männer) agiert volle Kraft voraus, die Männer/Seemänner sind mit Trenchcoat und Koffern unterwegs, vollziehen ein bizarres „Volksfest“in greller Beleuchtung (Licht Bertrand Killy), auf dem mit Skeletten gespielt wird – und schmettern angteinflößend. Die Damen wiederum spinnen nicht, sondern haben Gesangsstunde, aus der Senta ausbricht.
Wie gesagt, die Sänger sind extrem gefordert. Lars Woldt ist ein kraftvoller, leicht steifer Donald, der seine Tochter kaltherzig verschachert, Samuel Youn ist ein beeindruckender, eingeschränkt diabolischer Holländer, Ingela Brimberg eine besessene, markante Senta mit durchdringender Höhe, Bernhard Richter als Georg/Erik kämpft mit hellem Tenor umsonst um sie. Sie wirft ihm ihre Blondhaarperücke vor die Füße und geht mit dem eigentlich erweichten Holländer durch die Plastikwellen in die Finsternis ab. Wagners Finale der Urfassung – die Oper dauert pausenlos nur knapp zwei Stunden – kennt keine Erlösung, die Welt ist bei Olivier Py ebenso ein Rätsel wie die Kunst. Weniger Rätsel hat die Musik zu bieten, Marc Minkowski mag es vor allem laut.
Oper.