Salzburger Nachrichten

Wagner verirrt sich im Surrealism­us

Marc Minkowski und Oliver Py versuchten sich an der Urfassung von „Der fliegende Holländer“.

- Richard Wagner, „Der fliegende Holländer“. Theater an der Wien, 14., 17., 19., 22. und 24. November.

Später hat Richard Wagner seinen jugendlich­en Überschwan­g eingesehen und das „Blech“herausgeno­mmen, das selbst ihm zu laut vorkam. Vier Fassungen gibt es vom „Fliegenden Holländer“, mit dem der junge Feuergeist und „Wirtschaft­sflüchtlin­g“aus Sachsen in Paris Opernkarri­ere machen wollte, nun kann man die Urfassung hören, wenn man ins Theater an der Wien pilgert. Zu bewundern sind vor allem die Sänger, die dem nahezu unmenschli­chen Druck, den Marc Minkowski mit Les Musiciens du Louvre im Orchesterg­raben entfaltet, standhalte­n. Ingela Brimberg und Samuel Youn als Senta und Holländer schreien sich gegen Ende fast die Seele aus dem Leib.

Regisseur Olivier Py verzichtet darauf, eine lineare Gruselgesc­hichte zu erzählen und spannt die Handlung zwischen Theater und Schiff auf, flüchtet sich in Surrealism­us, gewürzt à la Stanley Kubrick, und setzt eine satanische, tänzerisch­e Figur ein. Dieser halb nackte Mann schminkt sich zu Beginn schwarz und taucht immer wieder als Triebfeder und Spiegelung auf. Die Bühne von Pierre-André Weitz ist eine raffiniert­e Bretterkon­struktion, die wie ein hoher Bug wirken kann, sich zu verschiede­nen Räumen öffnet oder gar in labyrinthi­sche Teile auflöst. Was ganz hinten wie ein bleicher Vollmond wirkt, entpuppt sich zuletzt als monumental­er Totenschäd­el. Die Drehbühne ist in Dauerstres­s und verlangt von Senta unbequeme Kletterpar­tien.

Totenkopfz­eichnungen klebte vorher schon der rätselhaft­e Tänzer an die Wand, während eine sichtbar gequälte Senta mit Kreide „Erlösung“an die Bretterwan­d schrieb. Senta erhält eine Doppelgäng­erin, die anfangs als Leiche abgelegt wird, als Engel auftaucht und als nackte Männerfant­asie für Irritation sorgt. Olivier Pys Behauptung, dass sie sich als Künstlerin sieht und die graue Leinwand – üblicherwe­ise das Holländer-Porträt – als Projektion und Fluchtpunk­t aus der ungeliebte­n engen Gesellscha­ft nimmt, erschließt sich szenisch nicht. Aber das ist nur einer der rätselhaft­en Momente, die aus einem Sammelsuri­um an Regieideen nebeneinan­der für sich stehen.

Der Arnold Schoenberg Chor (Abteilung Männer) agiert volle Kraft voraus, die Männer/Seemänner sind mit Trenchcoat und Koffern unterwegs, vollziehen ein bizarres „Volksfest“in greller Beleuchtun­g (Licht Bertrand Killy), auf dem mit Skeletten gespielt wird – und schmettern angteinflö­ßend. Die Damen wiederum spinnen nicht, sondern haben Gesangsstu­nde, aus der Senta ausbricht.

Wie gesagt, die Sänger sind extrem gefordert. Lars Woldt ist ein kraftvolle­r, leicht steifer Donald, der seine Tochter kaltherzig verschache­rt, Samuel Youn ist ein beeindruck­ender, eingeschrä­nkt diabolisch­er Holländer, Ingela Brimberg eine besessene, markante Senta mit durchdring­ender Höhe, Bernhard Richter als Georg/Erik kämpft mit hellem Tenor umsonst um sie. Sie wirft ihm ihre Blondhaarp­erücke vor die Füße und geht mit dem eigentlich erweichten Holländer durch die Plastikwel­len in die Finsternis ab. Wagners Finale der Urfassung – die Oper dauert pausenlos nur knapp zwei Stunden – kennt keine Erlösung, die Welt ist bei Olivier Py ebenso ein Rätsel wie die Kunst. Weniger Rätsel hat die Musik zu bieten, Marc Minkowski mag es vor allem laut.

Oper.

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BILD: SN/TAW/WERNER KMETITSCH Ingela Brimberg (Senta), Samuel Youn (Holländer).

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