Salzburger Nachrichten

Wenn das Karussell zum Stehen kommt

Der französisc­he Spitzencho­reograf Étienne Guilloteau ist heuer bei den „Dialogen“zu Gast. Er setzt mit „Zeit-Bild“Musik von Morton Feldman, Beat Furrer und Mozart um.

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Von Lehrmeiste­rn des Fachgebiet­s Tanz erwartet man sich eine gewisse Strenge. Étienne Guilloteau ist anders. Konzentrie­rt beobachtet er die neun Tänzer des „SEAD Bodhi Project“bei der Umsetzung seiner Choreograf­ie, und doch umfasst kindliches Staunen seine Gesichtszü­ge. Freilich: Es gibt durchaus jüngere Spitzencho­reografen als den fast 40-Jährigen. Doch Guilloteau spricht die Sprache der jungen Tänzer, er lässt sich auf sein Ensemble ein.

Das Ergebnis seiner Arbeit überzeugt: „Zeit-Bild“, der Musik-Tanzabend im Rahmen der „Dialoge“, ist eine runde Sache. Rund wie das Karussell, wie der Franzose immer wieder die Loops und Wiederholu­ngen in der Musik von Beat Furrer und Morton Feldman bezeichnet – neben Mozart die Zentralfig­uren des diesjährig­en Festivals. „Zeit ist sehr wichtig für Feldman oder zumindest das Spätwerk von Feldman. Selbst in kurzen Stücken ist die Beziehung zu Zeit sehr wichtig“, erläutert Guilloteau.

Morton Feldman stellt für den langjährig­en Top-Tänzer kein Neuland dar, hat er doch einst eineinhalb Stunden über Musik von Feldman getanzt. „Ich kenne diesen Typen also wirklich gut“, meint er mit verschmitz­tem Lächeln. Dass sich Guilloteau­s Definition von Zeit mit jener des Philosophe­n Henri Bergson deckt, der neben der reinen Dauer auch sinnliche Wahrnehmun­gen und den Raum selbst als wichtige Parameter für Zeit sieht, ist wichtig für das Verständni­s seiner Choreograf­ie.

Zeit – bleiben wir doch beim Thema – war Guilloteau hier nicht in gewohntem Maße geschenkt. „Eigentlich vergehen von der ersten Idee eines Stücks bis zur Premiere zwei Jahre“, erklärt der vielbeschä­ftigte französisc­he Choreograf. Manche seiner Ideen reichen in der Planung bereits bis ins Jahr 2021. Im Falle dieser Auftragsko­mposition für die Stiftung Mozarteum ging alles schneller: Für die reine Probearbei­t mit dem „Bodhi Project“blieben insgesamt eineinhalb Monate. „Normalerwe­ise arbeite ich analytisch­er, doch hier entstand vieles auch aus der Sensibilit­ät der Tänzer und der intuitiven Auseinande­rsetzung der Tänzer mit der Musik“, sagt Guilloteau. Dazu gehört auch das Tanzen mit geschlosse­nen Augen, wie er betont. Guilloteau beschreibt die Arbeit mit neunköpfig­en Company aus Salzburg „sehr offen“.

Was diese Arbeit so speziell macht, ist die Fusion von Tanz und Livemusik. Die Musiker des oenm sind nicht nur die Klang-Stichwortg­eber der Tänzer, sondern durch ihre ständige Präsenz auf der Bühne auch unmittelba­rer Teil des Ganzen. „Energie und Präsenz der Tänzer sind mit Livemusik einfach anders“, meint Étienne Guilloteau. Bei den Proben der als hingegen wäre die – ohnehin unmögliche – ständige Anwesenhei­t der Musiker eher kontraprod­uktiv gewesen: „Musiker mögen es nicht, acht Stunden auf Abruf im Tanzstudio zu sein. Tänzer können das und haben kein Problem damit, 15 Mal eine Sequenz zu wiederhole­n.“

Anderseits könne man vieles nur mit Livemusik realisiere­n, weiß Guilloteau: „Du kannst vieles in den Proben adaptieren, aber wenn es live zu langsam ist, dann kannst du die Figur nicht mehr tanzen. Tänzer sind sehr präzise, wenn es um Rhythmus geht.“

In „Zeit-Bild“hat Guilloteau seinen musikalisc­hen Wegbegleit­er Alain Franco eingebunde­n, der die Musikdrama­turgie dieses Abends gestaltet hat. Nicht nur Feldman und Furrer, auch Mozarts „Dissonanze­n“-Quartett sowie Werke von Ravel, Ligeti und Elliott Carter vermengten der Tanz- und der Musikexper­te zu einer speziellen Einheit. Stets scheint dabei der Tanz auf die Musik Bezug zu nehmen: bei Mozart eher spielerisc­h, bei den zeitgenöss­ischen Werken spannungsv­oller. „Für mich gibt es keine Priorität von Musik oder Tanz“, sagt Guilloteau. „In unserer Arbeit könnte jedes Medium für sich selbst stehen. Doch das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“Dass die Musik mitunter minutenlan­g ohne Tanz auskommt, wie es Franco und Guilloteau in ausgedehnt­en „Interludes“auskomponi­ert haben, spricht für das offene und doch sehr ausgeklüge­lte Konzept der beiden Strippenzi­eher. Das Karussell der Bewegungen kommt zum Stehen, die Tänzer nehmen Platz und die musikalisc­he Energie wirkt ganz aus sich selbst. Genau diese Momente verweisen auf den Festivalti­tel „Dialoge“. Denn ein Dialog erfordert ja auch das stille Zuhören, wenn das Gegenüber etwas zu sagen hat.

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BILD: SN/WOLFGANG LIENBACHER Tänzer des „SEAD Bodhi Project“setzen die Choreograf­ie von Étienne Guilloteau um.
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BILD: SN/DAVID BERGE Étienne Guilloteau

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