„Wir werden Roboter lieben lernen“
Der Historiker Martin Walker hat eine Studie über das Leben in 50 Jahren in Romanform gegossen. Im Interview philosophiert er über unser Verhältnis zu Robotern, ein Studium in Etappen und den Tabubruch durch Drohnen.
Der schottische Historiker Martin Walker schreibt nicht nur Krimis mit dem französischen Dorfpolizisten Bruno. Als Mitglied einer Denkfabrik der Unternehmensberatung A. T. Kearney hat er eine Studie über das Leben in 50 Jahren in Romanform verpackt. „Germany 2064“schildert eine zweigeteilte Welt: Automatisierten Hightech-Städten mit selbstfahrenden Autos und hoch entwickelten Robotern stehen die „Freien Gebiete“gegenüber, wo Menschen in selbst verwalteten Kommunen naturverbunden leben. SN: Gelten Ihre Deutschland beschreibenden Prognosen auch für andere Länder? Walker: Den Trend zur Zweiteilung in rückständige Landregionen und Hightech-Städte gibt es auch anderswo. Aber Deutschland ist das interessanteste Land in Europa, die Wirtschaft ist stark und Bundeskanzlerin (Angela) Merkel ist die führende Figur Europas. Zu gleicher Zeit machen sich die Deutschen viele Sorgen um niedrige Geburtenraten, Pensionssystem und Arbeitsmarkt. Es gibt eine tiefe Kluft zwischen ausgeklügelter Technik und Forschung und dem schlechten Image deutscher Universitäten. In internationalen Rankings liegt keine einzige deutsche Uni unter den ersten 50. SN: Was müsste man am Bildungssystem verbessern? Wir brauchen professionelle Betreuer schon für Kleinkinder, die wir bezahlen müssten wie Uni-Professoren. Unser System stammt aus dem späten 19. Jahrhundert, als die Lebenserwartung unter 60 Jahren lag. Man sollte im Alter zwischen 18 und 25 so viel lernen, dass es für ein ganzes Leben reicht. Kinder haben heute eine 50-Prozent-Chance, 100 Jahre alt zu werden. Es ist verrückt zu glauben, dass so eine kurze Bildungsphase für ein Leben genügt. Oft ist die Uni eine verlängerte Adoleszenz, mit viel Bier, Partys und Musik. Besser wäre es, mit 20 ein, zwei Jahre zu studieren, dann noch ein Jahr mit 35 und ein weiteres Jahr mit 50 oder 60. SN: Roboter sind im Jahr 2064 im Alltag allgegenwärtig. Wie wird das unser Leben verändern? Wir werden ein ähnlich inniges Verhältnis zu unseren Robotern entwickeln wie Menschen im 19. Jahrhundert zu ihren Pferden. Als Journalist im Irakkrieg habe ich gesehen, wie US-Soldaten bei der Entschärfung von Bomben mit Robotern zusammengearbeitet haben. Als ein Roboter explodierte, nahmen die Soldaten ihre Helme ab und salutierten, als wäre ein Kamerad gefallen. Wir haben eine Beziehung zu Dingen. Meine Töchter zu ihrem Handy, ich zu meinem Hund und zu meiner 2CV-Ente in Frankreich. Aber für Roboter wird das Verhältnis zu uns sehr verwirrend sein. SN: Wo liegt das Problem? Roboter sind rational, Menschen nicht. Wir lassen uns leiten von menschlichen Regungen wie Liebe, Hass, Angst oder Gier. Künstliche Intelligenz kann nicht lügen, aber wir Menschen lügen andauernd. Es wird schwierig sein für rationale Wesen, unsere Art des Denkens zu verstehen. Es gibt auch große rechtliche Fragen. Ist ein Roboter verantwortlich für den Befehl eines schlechten Herrn? Wir müssen auch klären, ob Roboter Rechte haben oder ob sie nur Werkzeuge sind – oder Sklaven. Kann ein Roboter zu Gericht gehen und sagen: Ich will für diesen Herrn nicht mehr arbeiten? Wir haben eine wichtige Grenze überschritten, seit wir Roboter in Form von Drohnen einsetzten, um Menschen zu töten. SN: Sind so viele Roboter eine Gefahr für den Arbeitsmarkt? Nicht unbedingt. Es wird viel mehr Arbeit geben in Bildung und Pflege. Das Leben wird so elektronisch dominiert sein, dass es ein großes Bedürfnis nach menschlicher Interaktion wie Musik und Theater geben wird. Im Handel wird die Kluft zwischen Billigsupermärkten und Luxusboutiquen zunehmen. Neben großen Fabriken wird es Edelmanufakturen geben, die hochwertige Produkte herstellen. Viel mehr Menschen werden wieder in der Landwirtschaft arbeiten, weil manche bereit sind, für hochwertige Nahrung und Wein gut zu zahlen. SN: Also einer kleinen Elite steht eine große Zahl Armer gegenüber wie im Mittelalter? Neue technologische Entwicklungen werden einige sehr Reiche hervorbringen. Aber das ist vorübergehend. Vielleicht verjuxen die Kinder das Geld oder es kommen neue Trends. Auch intelligente Besteuerung kann einen Ausgleich leisten. SN: Im Buch spielen Geld und sogar Falschgeld eine Rolle. Hat das bargeldlose Zahlen keine Zukunft? Bargeld und Gold zur Veranlagung wird es immer geben. Aber beides wird an Bedeutung verlieren. Die Besteuerung wird künftig im elektronischen Netzwerk ansetzen. Statt Einkommen oder Unternehmen zu besteuern, zwackt man von jeder Transaktion einen kleinen Betrag ab. Näher kann der Staat nicht an den Bürger herankommen. SN: Was heißt das für Banken? Die haben ein echtes Problem, weil sie die Kontrolle über die entscheidenden Finanztransaktionen verlieren. Schon in fünf Jahren wird jede zweite Transaktionen über Telekomfirmen stattfinden. Nie hatten Banken einen schlechteren Ruf als heute. Sie sind ineffizient und schaffen es nicht, Sparguthaben in produktive Investitionen umzuwandeln. Das Bankenmodell, wie wir es kennen, hat ausgedient. SN: Wird die Wirtschaft wieder auf Touren kommen und an früheres Wachstum anknüpfen? Wie misst man das? Das Bruttoinlandsprodukt BIP ist dafür nicht geeignet. In der herkömmlichen Betrachtung nützt ein Verkehrsunfall der Wirtschaft, weil Reparaturen und Spitalsaufenthalte das BIP steigern. Wir müssen den Begriff neu definieren und überlegen, was öffentliche Güter wie Gesundheit oder Wissen wert sind. Bildung drückt sich bisher nur in Lehrergehältern und Ausgaben für die Schule aus. Wir dürfen Wachstum nicht auf das BIP beschränken. Es wird enormes Wachstum geben, nicht im BIP, sondern im Zugang zu Kunst, Kreativität, Forschung und Büchern, die wir lesen oder schreiben. Wachstum für die Menschen ist mir lieber als Wachstum der Wirtschaft.
Zur Person Martin Walker: