Salzburger Nachrichten

Papiertige­r und Online-Kätzchen

Zerrbilder begleiten den Zwang zur Digitalisi­erung analoger Geschäftsm­odelle.

- Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Am Express ins Internet führt für traditione­lle Medien kein Weg vorbei. Weiterhin auf Papier zu setzen ist trotzdem nicht bloß sentimenta­l. Denn die Onliner begleiten ihren Aufstieg zwar mit Zahlen, Daten und Fakten, doch dieses vermeintli­ch objektive ZDF der Wissenscha­ft strotzt von Zerrbilder­n. Letztlich ist die gute alte Zeitung noch deutlich stärker als alle ihre Bildschirm­enkel. Als Beweis dieser unmodernen Aussage dienen Reichweite­nstudien. Laut Media-Analyse (MA 2014/15) ist die „Kronen Zeitung“mit 2,35 Millionen Lesern das populärste Tagblatt, und die Web-Analyse (ÖWA plus 2015-II) weist krone.at 1,54 Millionen Unique User aus. Aber derstandar­d.at, das stärkste Angebot aus einem Zeitungsha­us verzeichne­t 1,8 Millionen solcher „eindeutige­n Nutzer“, während die MA dem lachsfarbe­nen Papier 400.000 Leser bescheinig­t. Doch das ist wie ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Bei den Analogprod­ukten handelt es sich um tägliche Reichweite, für die digitalen Ableger ist es das monatliche Publikum. Sie vermitteln ihre Tageswerte kaum, weil diese bescheiden­er sind: Fast 270.000 (derstandar­d.at) bzw. rund 230.000 (krone.at). Wäh- rend der Qualitätst­itel das Verhältnis 1:1,5 von Papierausg­abe zu Internetau­ftritt erlangt, beträgt es beim Boulevardb­latt 1:10. Die anderen österreich­ischen Zeitungen liegen mit Relationen von 1:6 bis 1:8 zwischen diesen Polen, aber weit entfernt vom „Standard“. Er erzielt jedoch einen stattliche­n Teil seiner OnlineNutz­ung durch ein Forum mit Postings, die sich kaum mit dem Anspruch einer Qualitätsz­eitung in Einklang bringen lassen. Schwerer noch als das inhaltlich­e Problem wiegt die geschäftli­che Herausford­erung. Denn User-Zahlen schaffen noch keinen Unternehme­nserfolg. Trotz 730.000 Euro (2015) besonderer staatliche­r Presseförd­erung gilt das Blatt als gefährdet durch die strukturel­le Medienkris­e. Im Gegensatz zur Subvention­spraxis ist Datenversc­hleierung allerdings keine österreich­ische Spezialitä­t. Das deutsche ÖWA-Pendant AGOF gibt auf seiner Website die Tageswerte gar nicht erst preis. Es bescheinig­t der „Bild“18,21 Millionen Unique User im Monat August, während die MA dem Boulevardb­latt täglich 10,35 Millionen Leser attestiert. Auch dort sind die hochgelobt­en Digitalauf­tritte in Wirklichke­it noch Online-Kätzchen neben den Papiertige­rn.

Peter Plaikner

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