Papiertiger und Online-Kätzchen
Zerrbilder begleiten den Zwang zur Digitalisierung analoger Geschäftsmodelle.
Am Express ins Internet führt für traditionelle Medien kein Weg vorbei. Weiterhin auf Papier zu setzen ist trotzdem nicht bloß sentimental. Denn die Onliner begleiten ihren Aufstieg zwar mit Zahlen, Daten und Fakten, doch dieses vermeintlich objektive ZDF der Wissenschaft strotzt von Zerrbildern. Letztlich ist die gute alte Zeitung noch deutlich stärker als alle ihre Bildschirmenkel. Als Beweis dieser unmodernen Aussage dienen Reichweitenstudien. Laut Media-Analyse (MA 2014/15) ist die „Kronen Zeitung“mit 2,35 Millionen Lesern das populärste Tagblatt, und die Web-Analyse (ÖWA plus 2015-II) weist krone.at 1,54 Millionen Unique User aus. Aber derstandard.at, das stärkste Angebot aus einem Zeitungshaus verzeichnet 1,8 Millionen solcher „eindeutigen Nutzer“, während die MA dem lachsfarbenen Papier 400.000 Leser bescheinigt. Doch das ist wie ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Bei den Analogprodukten handelt es sich um tägliche Reichweite, für die digitalen Ableger ist es das monatliche Publikum. Sie vermitteln ihre Tageswerte kaum, weil diese bescheidener sind: Fast 270.000 (derstandard.at) bzw. rund 230.000 (krone.at). Wäh- rend der Qualitätstitel das Verhältnis 1:1,5 von Papierausgabe zu Internetauftritt erlangt, beträgt es beim Boulevardblatt 1:10. Die anderen österreichischen Zeitungen liegen mit Relationen von 1:6 bis 1:8 zwischen diesen Polen, aber weit entfernt vom „Standard“. Er erzielt jedoch einen stattlichen Teil seiner OnlineNutzung durch ein Forum mit Postings, die sich kaum mit dem Anspruch einer Qualitätszeitung in Einklang bringen lassen. Schwerer noch als das inhaltliche Problem wiegt die geschäftliche Herausforderung. Denn User-Zahlen schaffen noch keinen Unternehmenserfolg. Trotz 730.000 Euro (2015) besonderer staatlicher Presseförderung gilt das Blatt als gefährdet durch die strukturelle Medienkrise. Im Gegensatz zur Subventionspraxis ist Datenverschleierung allerdings keine österreichische Spezialität. Das deutsche ÖWA-Pendant AGOF gibt auf seiner Website die Tageswerte gar nicht erst preis. Es bescheinigt der „Bild“18,21 Millionen Unique User im Monat August, während die MA dem Boulevardblatt täglich 10,35 Millionen Leser attestiert. Auch dort sind die hochgelobten Digitalauftritte in Wirklichkeit noch Online-Kätzchen neben den Papiertigern.
Peter Plaikner