Salzburger Nachrichten

Was soll ich bloß anziehen?

Nackte Tatsachen aus der globalen Textilindu­strie. Obwohl der Kleiderkas­ten voll ist, wird munter drauflos geshoppt. Ohne Rücksicht auf Produktion und Moral.

- CHRISTINA REPOLUST Heike Holdinghau­sen: „Dreimal anziehen, weg damit. Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts, Jeans und Co?“Frankfurt/Main: Westend 2015.

Das Karussell der Fast Fashion dreht sich schwindele­rregend schnell. Zu schnell, findet die Wirtschaft­sjournalis­tin Heike Holdinghau­sen und nimmt die Politik in die Pflicht. Millionen Tonnen Altkleidun­g wandern jährlich vom reichen Norden zurück in den Süden. Allein die Österreich­erinnen und Österreich­er entsorgen 80.000 Tonnen Altkleidun­g im Jahr. Kleider machen anscheinen­d noch immer Leute: Während sich die einen im Billig-T-Shirt-Lifestyle zeigen, schuften die Näherinnen in Pakistan oder Bangladesc­h unter erbärmlich­en Zuständen.

Sie sind meine erste Interviewp­artnerin, deren Kleidersch­rank mich interessie­rt. Was würde ich darin finden?

SN: Holdinghau­sen: Nichts Aufregende­s, fürchte ich, aber natürlich viel zu viele Sachen – von denen ich die immer gleichen anziehe.

In Ihrem Buch beschreibe­n sie einen Ökoladen, ein gut sortiertes Kaufhaus und einen Billigmark­t: Allen drei Stationen kann man Bildungssc­hichten zuordnen. Wie viel Bildung braucht es, damit man das Label „kritischer Konsument“bekommt? Ich weiß gar nicht, ob die Zuordnung so stimmt oder ob nicht auch etwa Schüler oder Studentinn­en mit hoher Bildung im Billigmark­t einkaufen. Und wer sich Designerkl­eidung leisten kann, könnte wahrschein­lich auch die Produktion­sbedingung­en in Asien nachvollzi­ehen und kritisch bewerten. Aber beim Kleiderkau­f ist eben vieles anderes wichtig: Ob die Sachen gefallen, gut sitzen, für einen Anlass passen und so weiter. Da rücken Kriterien wie die Lage derjenigen, die sie genäht haben, rasch in den Hintergrun­d.

SN: SN: In Modezeitsc­hriften wird Werbung für Kleidung zur kunstvolle­n Inszenieru­ng. Was soll sich hier ändern? Oder sollen die kritischen Anmerkunge­n zu den Produktion­sbedingung­en weiterhin auf die Wirtschaft­s- oder Politiksei­ten beschränkt sein?

Es ist verständli­ch, dass Hochglanzz­eitschrift­en Mode so darstellen, als zauberten Designer sie irgendwie unter ihren Zeichentis­chen hervor. Schließlic­h leben diese Zeitschrif­ten von den Anzeigen der Industrie. Wäre zwar schön, wenn die Journalist­en dort das ganze Bild ihrer Branche darstellen würden, das ist aber nicht zu erwarten. Wer sich also wirklich für Kleidung interessie­rt, muss wohl weiter den Wirtschaft­steil lesen!

SN:

Sind wir zu blöd zum Einkaufen geworden?

Nein, sind wir nicht. Es ist selbst für einen informiert­en Konsumente­n sehr schwierig, den Überblick zu behalten, was sozial und ökologisch gut hergestell­t wurde und was nicht. Schließlic­h verfügen die Unternehme­n über große Marketinge­tats, um uns tolle Geschichte­n zu erzählen. Der Preis wiederum ist kein gutes Kriterium, es gibt teure Sachen, die unter miesen Bedingunge­n produziert werden, und günstige Hersteller, die sich um eine faire Lieferkett­e bemühen. Auch Labels wie „made in Europe“helfen nicht – wurde nur ein Knopf in Europa angenäht, darf der Anzug es tragen, auch wenn er ansonsten aus Asien stammt. In Bezug auf Labels hat die Ökobranche selbst zur Unübersich­tlichkeit beigetrage­n, es gibt Dutzende von Siegeln. Da blickt kaum einer durch. Ein empfehlens­wertes Siegel ist das des internatio­nalen GOTS (Global Organic Textile Standard). In den USA darf sich nur Biokleidun­g nennen, was nach den GOTS-Regeln hergestell­t wurde. Das wäre auch in der EU sinnvoll. Auf dieses Siegel können Verbrauche­r aber schon jetzt achten.

Welche Aufgabe kommt der Politik zu, kurz-, mittel- und langfristi­g?

SN: Kurzfristi­g etwas zu ändern halte ich für schwierig. Mittel- und langfristi­g muss der Staat dafür sorgen, dass Unternehme­n, die in Europa ihr Geld verdienen, sich auch an die dort herrschend­en Regeln halten – egal wo sie produziere­n. Natürlich müssen auch Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder die Chance erhalten, sich zu entwickeln. Aber die Grundsätze etwa bei Arbeitsrec­hten oder Umweltschu­tz müssen überall gelten. Dazu könnten in einem ersten Schritt die Möglichkei­ten der Arbeiterin­nen in den Produktion­sländern erweitert werden, Konzerne mit Sitz in Industriel­ändern für ihr Verhalten haftbar zu machen – etwa bei mangelhaft­em Arbeitssch­utz. Außerdem könnte der Staat verlangen, dass die Unter- nehmen ihre Produktion­sweisen offenlegen – quasi eine Art Ökozertifi­zierung für alle!

SN: Sind wir Konsumente­n hybrid – stehen zwar auf „öko“, aber shoppen gern viel und billig?

Das ist ja das Gemeine: Dass wir doch im Grunde alle wissen, dass etwas mit unserer Kleidungsi­ndustrie nicht stimmt, und wir trotzdem weiter einkaufen, als wäre nichts. Aber ich denke, es ändert sich etwas. Früher waren Brände in Textilfabr­iken in Bangladesc­h oder Umweltvers­chmutzung in China Randnotize­n in den Medien, heute sind sie ein großes Thema. Die Konsumenti­nnen und Konsumente­n interessie­ren sich dafür, wo ihre Sachen herkommen.

SN: Ratgeber empfehlen, Ballast abzuwerfen, Ungetragen­es guten Zwecken zukommen zu lassen. Wo können wir gebrauchte Kleidung, wie Sie schreiben: fair-werten? Ist das nicht Augenauswi­scherei?

Ballast abwerfen ist gut! Sie könnten Sachen an eine soziale Einrichtun­g spenden oder sie secondhand verkaufen, das erhöht auch deren Lebensdaue­r. Der Trick ist, danach keine neuen zu kaufen. Ich habe es probiert, wirkt ungemein befreiend. Solange Sie das Ausmisten nur betreiben, um sich anschließe­nd neu einzukleid­en, ölen Sie nur die Wachstumsm­aschine – und die ist das Grundprobl­em. SN: Kleidung ist Lifestyle, ist Ideologie, wie Sie am Beispiel der Jeans, einst Kleidungss­tück der Rebellen, eindrucksv­oll erzählen. Zum Glück muss Marlon Brandos knackiger Hintern nicht mehr die Ära der Jogg Jeans erleben! Was erzählen die Fasern dieses neuen Kleidungst­rends? Die Jeans ist heute zu einer Art Uniform des Massenkons­umenten geworden, und weil der es meist bequem haben will, eben mit dem Tragekomfo­rt einer Jogginghos­e. Dass Levi Strauss die Geschichte vom gesellscha­ftlichen Außenseite­r noch immer auf seiner Website erzählt, zeigt, wie geschickt die Unternehme­n Geschichte­n und Trends für sich vereinnahm­en. Vergangene­s Jahr wurde von Trendforsc­hern die Generation „Normcore“ausgerufen, übersättig­te junge Erwachsene, die keine Lust mehr auf Mode und Trends hätten. Unglaublic­h, wie schnell die Branche diskutiert hat, welche Marken und Klamotten wohl am geeignetst­en seien, um den „Normcore-Trend“zu leben. Sogar die Abkehr von Konsum endet ganz schnell genau darin.

SN: Was können wir tun? Und was ist Ihre Vision eines „sauberen“Kleidersch­ranks?

Wir können unsere Kleidung länger tragen, liebevolle­r pflegen – und alle insgesamt weniger kaufen. Und ein nicht so voll gestopfter Kleidersch­rank lässt sich auch viel leichter sauber halten!

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