Was soll ich bloß anziehen?
Nackte Tatsachen aus der globalen Textilindustrie. Obwohl der Kleiderkasten voll ist, wird munter drauflos geshoppt. Ohne Rücksicht auf Produktion und Moral.
Das Karussell der Fast Fashion dreht sich schwindelerregend schnell. Zu schnell, findet die Wirtschaftsjournalistin Heike Holdinghausen und nimmt die Politik in die Pflicht. Millionen Tonnen Altkleidung wandern jährlich vom reichen Norden zurück in den Süden. Allein die Österreicherinnen und Österreicher entsorgen 80.000 Tonnen Altkleidung im Jahr. Kleider machen anscheinend noch immer Leute: Während sich die einen im Billig-T-Shirt-Lifestyle zeigen, schuften die Näherinnen in Pakistan oder Bangladesch unter erbärmlichen Zuständen.
Sie sind meine erste Interviewpartnerin, deren Kleiderschrank mich interessiert. Was würde ich darin finden?
SN: Holdinghausen: Nichts Aufregendes, fürchte ich, aber natürlich viel zu viele Sachen – von denen ich die immer gleichen anziehe.
In Ihrem Buch beschreiben sie einen Ökoladen, ein gut sortiertes Kaufhaus und einen Billigmarkt: Allen drei Stationen kann man Bildungsschichten zuordnen. Wie viel Bildung braucht es, damit man das Label „kritischer Konsument“bekommt? Ich weiß gar nicht, ob die Zuordnung so stimmt oder ob nicht auch etwa Schüler oder Studentinnen mit hoher Bildung im Billigmarkt einkaufen. Und wer sich Designerkleidung leisten kann, könnte wahrscheinlich auch die Produktionsbedingungen in Asien nachvollziehen und kritisch bewerten. Aber beim Kleiderkauf ist eben vieles anderes wichtig: Ob die Sachen gefallen, gut sitzen, für einen Anlass passen und so weiter. Da rücken Kriterien wie die Lage derjenigen, die sie genäht haben, rasch in den Hintergrund.
SN: SN: In Modezeitschriften wird Werbung für Kleidung zur kunstvollen Inszenierung. Was soll sich hier ändern? Oder sollen die kritischen Anmerkungen zu den Produktionsbedingungen weiterhin auf die Wirtschafts- oder Politikseiten beschränkt sein?
Es ist verständlich, dass Hochglanzzeitschriften Mode so darstellen, als zauberten Designer sie irgendwie unter ihren Zeichentischen hervor. Schließlich leben diese Zeitschriften von den Anzeigen der Industrie. Wäre zwar schön, wenn die Journalisten dort das ganze Bild ihrer Branche darstellen würden, das ist aber nicht zu erwarten. Wer sich also wirklich für Kleidung interessiert, muss wohl weiter den Wirtschaftsteil lesen!
SN:
Sind wir zu blöd zum Einkaufen geworden?
Nein, sind wir nicht. Es ist selbst für einen informierten Konsumenten sehr schwierig, den Überblick zu behalten, was sozial und ökologisch gut hergestellt wurde und was nicht. Schließlich verfügen die Unternehmen über große Marketingetats, um uns tolle Geschichten zu erzählen. Der Preis wiederum ist kein gutes Kriterium, es gibt teure Sachen, die unter miesen Bedingungen produziert werden, und günstige Hersteller, die sich um eine faire Lieferkette bemühen. Auch Labels wie „made in Europe“helfen nicht – wurde nur ein Knopf in Europa angenäht, darf der Anzug es tragen, auch wenn er ansonsten aus Asien stammt. In Bezug auf Labels hat die Ökobranche selbst zur Unübersichtlichkeit beigetragen, es gibt Dutzende von Siegeln. Da blickt kaum einer durch. Ein empfehlenswertes Siegel ist das des internationalen GOTS (Global Organic Textile Standard). In den USA darf sich nur Biokleidung nennen, was nach den GOTS-Regeln hergestellt wurde. Das wäre auch in der EU sinnvoll. Auf dieses Siegel können Verbraucher aber schon jetzt achten.
Welche Aufgabe kommt der Politik zu, kurz-, mittel- und langfristig?
SN: Kurzfristig etwas zu ändern halte ich für schwierig. Mittel- und langfristig muss der Staat dafür sorgen, dass Unternehmen, die in Europa ihr Geld verdienen, sich auch an die dort herrschenden Regeln halten – egal wo sie produzieren. Natürlich müssen auch Entwicklungs- und Schwellenländer die Chance erhalten, sich zu entwickeln. Aber die Grundsätze etwa bei Arbeitsrechten oder Umweltschutz müssen überall gelten. Dazu könnten in einem ersten Schritt die Möglichkeiten der Arbeiterinnen in den Produktionsländern erweitert werden, Konzerne mit Sitz in Industrieländern für ihr Verhalten haftbar zu machen – etwa bei mangelhaftem Arbeitsschutz. Außerdem könnte der Staat verlangen, dass die Unter- nehmen ihre Produktionsweisen offenlegen – quasi eine Art Ökozertifizierung für alle!
SN: Sind wir Konsumenten hybrid – stehen zwar auf „öko“, aber shoppen gern viel und billig?
Das ist ja das Gemeine: Dass wir doch im Grunde alle wissen, dass etwas mit unserer Kleidungsindustrie nicht stimmt, und wir trotzdem weiter einkaufen, als wäre nichts. Aber ich denke, es ändert sich etwas. Früher waren Brände in Textilfabriken in Bangladesch oder Umweltverschmutzung in China Randnotizen in den Medien, heute sind sie ein großes Thema. Die Konsumentinnen und Konsumenten interessieren sich dafür, wo ihre Sachen herkommen.
SN: Ratgeber empfehlen, Ballast abzuwerfen, Ungetragenes guten Zwecken zukommen zu lassen. Wo können wir gebrauchte Kleidung, wie Sie schreiben: fair-werten? Ist das nicht Augenauswischerei?
Ballast abwerfen ist gut! Sie könnten Sachen an eine soziale Einrichtung spenden oder sie secondhand verkaufen, das erhöht auch deren Lebensdauer. Der Trick ist, danach keine neuen zu kaufen. Ich habe es probiert, wirkt ungemein befreiend. Solange Sie das Ausmisten nur betreiben, um sich anschließend neu einzukleiden, ölen Sie nur die Wachstumsmaschine – und die ist das Grundproblem. SN: Kleidung ist Lifestyle, ist Ideologie, wie Sie am Beispiel der Jeans, einst Kleidungsstück der Rebellen, eindrucksvoll erzählen. Zum Glück muss Marlon Brandos knackiger Hintern nicht mehr die Ära der Jogg Jeans erleben! Was erzählen die Fasern dieses neuen Kleidungstrends? Die Jeans ist heute zu einer Art Uniform des Massenkonsumenten geworden, und weil der es meist bequem haben will, eben mit dem Tragekomfort einer Jogginghose. Dass Levi Strauss die Geschichte vom gesellschaftlichen Außenseiter noch immer auf seiner Website erzählt, zeigt, wie geschickt die Unternehmen Geschichten und Trends für sich vereinnahmen. Vergangenes Jahr wurde von Trendforschern die Generation „Normcore“ausgerufen, übersättigte junge Erwachsene, die keine Lust mehr auf Mode und Trends hätten. Unglaublich, wie schnell die Branche diskutiert hat, welche Marken und Klamotten wohl am geeignetsten seien, um den „Normcore-Trend“zu leben. Sogar die Abkehr von Konsum endet ganz schnell genau darin.
SN: Was können wir tun? Und was ist Ihre Vision eines „sauberen“Kleiderschranks?
Wir können unsere Kleidung länger tragen, liebevoller pflegen – und alle insgesamt weniger kaufen. Und ein nicht so voll gestopfter Kleiderschrank lässt sich auch viel leichter sauber halten!