Besuch bei der alten Dame
Magisches Havanna. Trotz bröckelnder Fassaden und politischer Isolation bewahrt Kubas Hauptstadt Zauber und Würde.
Condor
Hier knirscht kein Kies. Doch wenn die chromglänzenden Straßenkreuzer mit elegantem Schwung auf dem Asphalt vor den Toren des Cabaret Tropicana halten, glaubt man fast ihn zu hören. Die Passagiere, die in ihren Leinenhosen und Sommerkleidern nicht immer ganz so elegant aus den Oldtimern stolpern, sind hingerissen. Die Oldtimer Havannas fahren mittlerweile zwar mit fernöstlichem Innenleben – die Originalmotoren haben trotz einfallsreicher Reparaturen irgendwann doch den Geist aufgegeben –, doch ein Abglanz kolonialen Glamours hat sich erhalten. So wie im Inneren des Cabarets. Zum Auftakt ein Gläschen Sekt unbekannter Provenienz, danach pro Tisch zwei kleine Flaschen Rum und Cola. Cuba Libre zum Selbstmischen, das freie Kuba also zumindest im Glas.
Dann beginnt die Show, und sie ist, sofern man opulente Shows im Pariser Stil der großen Varietébühnen mag, wirklich atemberaubend. Volants, Federn, Netzstrümpfe und grelle Schminke – alle zwei Minuten wechseln Tänzerinnen und Tänzer ihre Kostüme, Lichteffekte und schnelle Salsarhythmen unter freiem Sternenhimmel tun das Ihrige, um für die Besucher aus den herbstkalten Ländern das tropisch-heißblütige Kuba-Klischee zu bestätigen.
Das stammt so freilich aus einer Zeit, als Kuba noch weit vom „socialismo real“entfernt war. Als sich im luxuriösen Hotel Nacional Marlene Dietrich, Gary Cooper und Marlon Brando ebenso einfanden wie Johnny Weissmüller, Winston Churchill oder Frank Sinatra. Als der schwache und korrupte Diktator Fulgencio Batista für seine amerikanischen Freunde und Gönner aus Mafia und Drogenhandel alles auffahren ließ, was die Zuckerrohrinsel zu bieten hatte: Shows, Drinks, Glücksspiel, Mädchen.
Bis die Revolution unter ihren Helden wie Che Guevara und Fidel Castro dem Treiben am 1. Jänner 1959 ein Ende setzte. Geblieben sind die aus Havannas Stadtbild nicht wegzudenkenden Oldtimer, das Hotel Nacional und die großen Cabaret-Shows. Damit wird heute bei den von weither angereisten Gästen gutes Geld gemacht.
Dennoch ist Hilfe von außen, in diesem Fall auch Europa, nötig, um die alte Dame Havanna vor dem Verfall zu retten. Die Altstadt mit der zentralen Plaza Vieja, der Kathedrale und dem berühmten Uferboulevard Malecón zählt bereits seit 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Dennoch bröckelt es teils heftig. Und wer außerhalb der renovierten Plätze und Straßenzüge spazieren geht, wird mitunter von besorgten Anrainern gewarnt: Man möge doch, bitte schön, nicht direkt unter den Balkonen gehen. Sicherheitshalber.
Das Herz Havannas ist jedoch wieder das Schmuckstück, das es einst war. Wenn sich die Nachmittagssonne glühend auf Kopf und Schultern legt, tut der Schatten der großen Bäume auf der Plaza de Armas, dem einstigen Exerzierplatz, gut. Fliegende Buchhändler bieten hier ihre Ware feil, vom Tagebuch Che Guevaras bis zu alten Schallplatten. Schatten und Erfrischung finden sich auch in Ernest Hemingways Lieblingsbars, der Bodeguita del Medio und der Floridita. Und wer viel Zeit und Geduld hat, dem sei ein Plätzchen unter den Arkaden der Plaza Vieja empfohlen. Der Sozialismus hat zwar an der Qualität der Drinks keinerlei Spuren hinterlassen, wohl aber am Arbeitseifer der Bedienung. Doch hier drängelt niemand.
Ein wenig eng scheint es nur für jene zu werden, die Kuba besuchen wollen, ehe die Insel durch die Annäherung zur USA wieder zur Freizeitinsel der Amerikaner wird. So zumindest die leise Befürchtung. Dass Starbucks und Philip Morris bald den gewohnten Cafecito und die handgerollten Zigarren ersetzen, ist jedoch nicht abzusehen. Und die einzigen amerikanischen Automobile bleiben einstweilen die polierten Schönheiten, wie der Ford Franklin 1957 in Kirschrot metallic, der gerade vorüberrollt.
TUI