Salzburger Nachrichten

Dieser Terror trifft uns alle

Die Flüchtling­e aus Nahost sind meist selbst Opfer des Terrors. Pauschaler Verdacht gegen sie nützt nur der Terrorband­e des IS.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM LEITARTIKE­L

Misslungen­e Integratio­n der Immigrante­n

Europa erlebt die schwerste Prüfung seit langer Zeit. Angegriffe­n worden ist ein Kontinent, der auf Freiheit, Demokratie und Toleranz baut. Doch das Hauptziel der barbarisch­en Terroratta­cken von Paris scheint zu sein, die ohnedies gefährdete Einheit Europas zu zerreißen und vor allem die europäisch­en Gesellscha­ften und die muslimisch­en Minderheit­en noch weiter auseinande­rzudividie­ren.

Offenbar war es das zynische Kalkül der Dschihadis­ten des „Islamische­n Staates“(IS) diesmal, Europas Aufregung und Streit über den nicht nachlassen­den Flüchtling­szustrom für die eigenen verbrecher­ischen Zwecke zu nützen.

Schon verdichten sich Hinweise darauf, dass sich einige der Attentäter als Flüchtling­e aus Syrien getarnt haben könnten, um nach Frankreich zu gelangen. Ein syrischer Pass, der am Schauplatz eines Blutbades in Paris gefunden wird, ist nach bisherigen Erkenntnis­sen nur vermeintli­ch ein Fingerzeig, tatsächlic­h aber eine Finte.

Die Drahtziehe­r des Terrors rechnen sich aus, dass sie aufgrund solcher Querverbin­dungen das Misstrauen in den EU-Ländern gegenüber syrischen und anderen muslimisch­en Zuwanderer­n schüren können. Wenn das gesellscha­ftliche Klima in Europa feindselig­er gegenüber Fremden wird, bringt das Vorteile für die Extremiste­n. Manche Muslime, die in den Ankunftslä­ndern auf Ablehnung und Ausgrenzun­g stoßen, dürften umso bereitwill­iger die Botschaft der radikalen Islamisten aufnehmen.

Zwar weisen Terrorexpe­rten aufgrund ihrer Beobachtun­gen in den vergangene­n Monaten darauf hin, dass von einer massenhaft­en Einschleus­ung von Anhängern des „Islamische­n Staates“durch die Flüchtling­sbewegung nicht die Rede sein könne. Wegen der hohen Flüchtling­szahl ist es schon statistisc­h keinesfall­s ausgeschlo­ssen, dass mit den vielen Flüchtling­en auch einige Extremiste­n kommen. Aber die große Mehrzahl der aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien fliehenden Menschen sucht Schutz – zuallerers­t vor den Terrorangr­iffen des Assad-Regimes, in zweiter Linie vor dem IS-Terror.

Die meisten dieser Terror-Traumatisi­erten könnten folglich, sofern wir sie in unsere Gesellscha­ften einfügen, zu den stärksten Befürworte­rn der europäisch­en Grundwerte wie Freiheit, Demokratie und Toleranz werden. Europas Terrorprob­lem aber besteht vor allem darin, dass islamistis­che Gewalttäte­r für ihre finsteren Absichten in den europäisch­en Ländern längst von Radikalen geknüpfte Netzwerke finden. Diese Logistik lässt sich auch von den Planern von außen gesteuerte­r, koordinier­ter Terrorakti­onen wie jener jetzt in Frankreich­s Hauptstadt aktivieren.

Europas Einwandere­rnationen von Großbritan­nien über Belgien bis Spanien büßen bitter dafür, dass ihnen die Integratio­n der muslimisch­en Immigrante­n nicht wirklich gelungen ist. Frankreich ist besonders verwundbar, weil hier die Defizite besonders augenfälli­g sind. Sogar als Franzose geborene Menschen haben bis heute das Gefühl, dass sie als Kinder muslimisch­er Einwandere­r nicht zur Republik gehören. Selbst nach den heftigen Unruhen in den Vorstädten vor zehn Jahren scheitert Frankreich­s Politik an der Aufgabe, auch Jugendlich­en aus den sozialen Randzonen Perspektiv­en und Chancen zu geben. Darum lassen sich die Marginalis­ierten leicht von den Versprechu­ngen der islamistis­chen Heils- und Hasspredig­er verführen.

Zwar warnen Experten davor, das Problem der Flüchtling­skrise und das Problem der Terrorgefa­hr miteinande­r zu vermengen. Doch schon jetzt ist absehbar, dass sich die Debatte über den Umgang mit Flüchtling­en verschärfe­n wird. Kaum aus den Köpfen zu bringen ist nun noch die Befürchtun­g, dass mit dem Massenzust­rom aus islamische­n Ländern die Gefahr islamistis­cher Anschläge zunimmt. Der neue Terror von Paris dürfte enorme politische Folgen haben. Der Druck, die Außengrenz­en der Europäisch­en Union endlich wieder unter Kontrolle zu bringen und damit die Massenmigr­ation zu begrenzen, wächst weiter. Die Bereitscha­ft mancher EU-Staaten wie etwa Polen, überhaupt noch Flüchtling­e aufzunehme­n, wird noch geringer. Terrortäte­r, die die Flüchtling­sbewegung instrument­alisieren, verschaffe­n rechtspopu­listischen und rechtsextr­emistische­n Parteien in Europa noch mehr Aufwind.

Europas Demokraten müssen daher in dieser großen Krise entschloss­en und besonnen zugleich handeln. Es ist die seit Langem ernsteste Prüfung für sie.

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