Dieser Terror trifft uns alle
Die Flüchtlinge aus Nahost sind meist selbst Opfer des Terrors. Pauschaler Verdacht gegen sie nützt nur der Terrorbande des IS.
Misslungene Integration der Immigranten
Europa erlebt die schwerste Prüfung seit langer Zeit. Angegriffen worden ist ein Kontinent, der auf Freiheit, Demokratie und Toleranz baut. Doch das Hauptziel der barbarischen Terrorattacken von Paris scheint zu sein, die ohnedies gefährdete Einheit Europas zu zerreißen und vor allem die europäischen Gesellschaften und die muslimischen Minderheiten noch weiter auseinanderzudividieren.
Offenbar war es das zynische Kalkül der Dschihadisten des „Islamischen Staates“(IS) diesmal, Europas Aufregung und Streit über den nicht nachlassenden Flüchtlingszustrom für die eigenen verbrecherischen Zwecke zu nützen.
Schon verdichten sich Hinweise darauf, dass sich einige der Attentäter als Flüchtlinge aus Syrien getarnt haben könnten, um nach Frankreich zu gelangen. Ein syrischer Pass, der am Schauplatz eines Blutbades in Paris gefunden wird, ist nach bisherigen Erkenntnissen nur vermeintlich ein Fingerzeig, tatsächlich aber eine Finte.
Die Drahtzieher des Terrors rechnen sich aus, dass sie aufgrund solcher Querverbindungen das Misstrauen in den EU-Ländern gegenüber syrischen und anderen muslimischen Zuwanderern schüren können. Wenn das gesellschaftliche Klima in Europa feindseliger gegenüber Fremden wird, bringt das Vorteile für die Extremisten. Manche Muslime, die in den Ankunftsländern auf Ablehnung und Ausgrenzung stoßen, dürften umso bereitwilliger die Botschaft der radikalen Islamisten aufnehmen.
Zwar weisen Terrorexperten aufgrund ihrer Beobachtungen in den vergangenen Monaten darauf hin, dass von einer massenhaften Einschleusung von Anhängern des „Islamischen Staates“durch die Flüchtlingsbewegung nicht die Rede sein könne. Wegen der hohen Flüchtlingszahl ist es schon statistisch keinesfalls ausgeschlossen, dass mit den vielen Flüchtlingen auch einige Extremisten kommen. Aber die große Mehrzahl der aus dem Bürgerkriegsland Syrien fliehenden Menschen sucht Schutz – zuallererst vor den Terrorangriffen des Assad-Regimes, in zweiter Linie vor dem IS-Terror.
Die meisten dieser Terror-Traumatisierten könnten folglich, sofern wir sie in unsere Gesellschaften einfügen, zu den stärksten Befürwortern der europäischen Grundwerte wie Freiheit, Demokratie und Toleranz werden. Europas Terrorproblem aber besteht vor allem darin, dass islamistische Gewalttäter für ihre finsteren Absichten in den europäischen Ländern längst von Radikalen geknüpfte Netzwerke finden. Diese Logistik lässt sich auch von den Planern von außen gesteuerter, koordinierter Terroraktionen wie jener jetzt in Frankreichs Hauptstadt aktivieren.
Europas Einwanderernationen von Großbritannien über Belgien bis Spanien büßen bitter dafür, dass ihnen die Integration der muslimischen Immigranten nicht wirklich gelungen ist. Frankreich ist besonders verwundbar, weil hier die Defizite besonders augenfällig sind. Sogar als Franzose geborene Menschen haben bis heute das Gefühl, dass sie als Kinder muslimischer Einwanderer nicht zur Republik gehören. Selbst nach den heftigen Unruhen in den Vorstädten vor zehn Jahren scheitert Frankreichs Politik an der Aufgabe, auch Jugendlichen aus den sozialen Randzonen Perspektiven und Chancen zu geben. Darum lassen sich die Marginalisierten leicht von den Versprechungen der islamistischen Heils- und Hassprediger verführen.
Zwar warnen Experten davor, das Problem der Flüchtlingskrise und das Problem der Terrorgefahr miteinander zu vermengen. Doch schon jetzt ist absehbar, dass sich die Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen verschärfen wird. Kaum aus den Köpfen zu bringen ist nun noch die Befürchtung, dass mit dem Massenzustrom aus islamischen Ländern die Gefahr islamistischer Anschläge zunimmt. Der neue Terror von Paris dürfte enorme politische Folgen haben. Der Druck, die Außengrenzen der Europäischen Union endlich wieder unter Kontrolle zu bringen und damit die Massenmigration zu begrenzen, wächst weiter. Die Bereitschaft mancher EU-Staaten wie etwa Polen, überhaupt noch Flüchtlinge aufzunehmen, wird noch geringer. Terrortäter, die die Flüchtlingsbewegung instrumentalisieren, verschaffen rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien in Europa noch mehr Aufwind.
Europas Demokraten müssen daher in dieser großen Krise entschlossen und besonnen zugleich handeln. Es ist die seit Langem ernsteste Prüfung für sie.