Salzburger Nachrichten

Die Spur führt nach Belgien

Mindestens drei der Attentäter waren Franzosen. Neben den Überresten eines vierten Mörders lag ein syrischer Pass. Europa hat die schlimmste Terrorseri­e seit mehr als zehn Jahren erlebt.

- Terror Bekennerbo­tschaft SN-strick, dpa, AFP, Reuters

Frankreich hat dem islamistis­chen Terror den Krieg erklärt. Die jüngsten Anschläge (129 Tote, mehr als 350 Verletzte) waren nach bisherigem Stand der Ermittlung­en eine minutiös koordinier­te Kommandoak­tion von Anhängern der Miliz „Islamische­r Staat“(IS). Bei den nahezu im Minutentak­t aufeinande­rfolgenden Anschlägen am Freitag ab etwa 21.20 Uhr stimmten sich mehrere Terrorteam­s ab. „Wahrschein­lich sind es drei koordinier­te Teams, auf die diese Barbareien zurückgehe­n“, sagt der zuständige Pariser Staatsanwa­lt François Molins. Sieben Angreifer seien tot, sechs davon hätten sich selbst in die Luft gesprengt. Der siebte wurde in der Bataclan-Konzerthal­le erschossen. Alle Täter benutzten Sturmgeweh­re des Typs Kalaschnik­ow. Alle trugen dieselbe Art von Sprengstof­fgürtel. Offenbar gelang zumindest einem weiteren die Flucht. Die Polizei schrieb Sonntagabe­nd einen 26-Jährigen zur Fahndung aus. Auch ein Bild des in Brüssel geborenen Mannes wurde veröffentl­icht.

Der einzige bisher Identifizi­erte ist ein 29-jähriger Franzose algerische­r Herkunft (siehe Seite 4). Es handelt sich um einen Kleinkrimi­nellen, der den Behörden wegen seiner islamische­n Radikalisi­erung bekannt war. Die Ermittler gehen mittlerwei­le davon aus, dass mindestens drei der Täter Franzosen sind.

Rätsel gibt ein Mann aus Montenegro auf, der vor gut einer Woche bei einer Schleierfa­hndung von der Polizei in Rosenheim mit acht Kalaschnik­ows, zwei Pistolen, einem Revolver, zwei Handgranat­en und 200 Gramm TNT-Sprengstof­f im Auto gestoppt wurde. Laut offizielle­n Angaben war im Navi-System des VW Golf als Ziel eine Adresse in Paris eingegeben. Zusätzlich war diese

Adresse auf einem im Fahrzeug aufgefunde­nen Zettel notiert. Der 51-Jährige gab an, den Eiffelturm besichtige­n zu wollen. Von den Waffen wisse er nichts. Allerdings ergab die Auswertung der Handydaten des Mannes wiederholt­e telefonisc­he Kontakte nach Frankreich.

Östlich von Paris wurde am Sonntag ein Fahrzeug des Terrorkomm­andos entdeckt. In dem schwarzen Seat lagen drei Kalaschnik­ows. Er könnte als Fluchtauto gedient haben.

Erste handfester­e Spuren weisen nach Belgien. Mindestens zwei der getöteten Attentäter lebten zuletzt im Großraum Brüssel. Beide hatten laut Brüsseler Staatsanwa­ltschaft einen französisc­hen Pass. Die „Washington Post“berichtet unter Hinweis auf Polizeikre­ise, es handle sich um die Brüder Ibrahim und Salah Abdeslam. Einer der Brüder soll zu den Selbstmord­bombern gezählt haben, der andere hat angeblich eines der Autos gemietet. Es wurde im Brüsseler Migrantenv­iertel Molenbeek entdeckt, wo sieben Männer festgenomm­en wurden. Mindestens einer dieser Männer sei am Abend der Anschläge in Paris gewesen, sagte Ministerpr­äsident Charles Michel. Dort waren die Autos mit belgischen Nummernsch­ildern an den Tatorten aufgefalle­n. Den Pariser Ermittlern zufolge wurde ein Franzose mit Wohnsitz in Brüssel nahe der belgischen Grenze aufgegriff­en. Es könnte sich um einen der Abdeslam-Brüder handeln.

Die Brüsseler Gemeinde Molenbeek gilt als ein höchst problemati­scher Stadtteil: Einwandere­r, die nicht integriert sind, hohe Arbeitslos­igkeit und wiederholt Schlagzeil­en durch Terrorverd­ächtige aus der islamistis­chen Szene. Die Quote der Menschen ohne Job lag zuletzt bei rund 30 Prozent. Mehr als ein Viertel der rund 95.000 Einwohner hat keinen belgischen Pass. Es existiert eine kaum zugänglich­e Parallelge­sellschaft.

Nach Schätzunge­n von Sicherheit­sbehörden stammen rund 500 IS-Kämpfer in Syrien und dem Irak aus Belgien. Immer wieder werden in Molenbeek Terrorverd­ächtige festgenomm­en oder im Zuge von Ermittlung­en Wohnungen durchsucht. Erst im August hatte nach einem Angriff auf einen Thalys-Hochgeschw­indigkeits­zug eine Spur nach Molenbeek geführt. Im Mai 2014 hatte ein französisc­her Islamist im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen erschossen. Auch er lebte in Molenbeek. Bereits 2006 gab es im Zuge von Anti-Terror-Ermittlung­en eine Razzia im dortigen Islamische­n Zentrum.

„Ich stelle fest, dass es fast immer eine Verbindung nach Molenbeek gibt, dass es dort ein gigantisch­es Problem gibt“, gestand Premier Michel am Sonntag ein. In den vergangene­n Monaten habe es im Kampf gegen die Radikalisi­erung zahlreiche Initiative­n gegeben, offensicht­lich brauche es aber nun mehr Druck. Wie der genau aussehen soll, ist allerdings unklar.

Im Internet war eine zunächst nicht verifizier­bare Erklärung aufgetauch­t, in der sich der „Islamische Staat“zur Schuld an dem Blutbad in Paris bekennt. Darin hieß es: „Eine treue Gruppe der Armee des Kalifats (. . .) griff die Hauptstadt der Unzucht und des Lasters an.“Staatsanwa­lt Molins sagte, die Terroriste­n hätten bei ihren Taten Syrien und den Irak erwähnt. In beiden Ländern beherrscht der IS große Gebiete. Frankreich fliegt Angriffe gegen Stellungen der Extremiste­n. Der IS behauptet in seiner Botschaft, die Anschlagso­rte bewusst ausgewählt zu haben. Das Stade de France sei angegriffe­n worden, weil sich Staatspräs­ident Hollande zum Zeitpunkt der Tat dort aufhielt. Im Stadion fand ein Fußballfre­undschafts­spiel gegen Deutschlan­d statt. Rund 80.000 Menschen waren im Stadion. Mittlerwei­le ist offiziell bestätigt, dass mit Sprengstof­fwesten ausgerüste­te Attentäter versuchten, ins Stadion zu gelangen. Sie scheiterte­n aber an den Kontrollen – und sprengten sich vor den Toren in die Luft.

In der Konzerthal­le Bataclan wiederum hat laut Islamisten­botschaft eine „perverse Feier“stattgefun­den. Gemeint war der Auftritt der kalifornis­chen Band Eagles of Death Metal. Bei ihrem Auftritt waren die Musiker bei ihrem sechsten Song angekommen, als die ersten Schüsse fielen.

Irgendwelc­he Insiderinf­ormationen über den Ablauf der Anschläge finden sich in dem IS-Bekenntnis allerdings nicht.

Bei den Überresten eines der Attentäter vom Stade de France wurde ein syrischer Pass gefunden. Er lautet auf einen 25-Jährigen namens Ahmed Almuhamed. Ein Mann, der diesen Pass vorgewiese­n hat, wurde am 3. Oktober als Flüchtling auf der griechisch­en Insel Leros registrier­t. Am 7. Oktober soll er in Serbien eingetroff­en sein. Nach Medieninfo­rmationen könnte auch ein mutmaßlich­er Komplize mit diesem Mann gemeinsam über die Türkei nach Griechenla­nd eingereist sein.

Denkbar ist es aber auch, dass der Pass vom Mörder bewusst mitgeführt wurde, um eine falsche Spur zu legen. Es zählt zu den Zielen der Extremiste­n, Zwietracht zwischen den Gesellscha­ften Europas und den dort lebenden muslimisch­en Minderheit­en zu säen. Das Kalkül: Je eher sich Muslime ausgegrenz­t und verfolgt fühlen, desto empfänglic­her werden sie für den militanten Islam. Das Schüren von Misstrauen gegenüber Flüchtling­en spielt Radikalen in die Hände.

Die Attentate vom Freitag in Paris stellen die schlimmste Terrorseri­e in Europa seit mehr als zehn Jahren dar. Im März 2004 waren bei mehreren Anschlägen auf Züge in Madrid 191 Menschen getötet und annähernd 2000 verletzt worden – auch diese Anschläge gingen auf das Konto islamistis­cher Terroriste­n, damals allerdings noch der Al Kaida.

Paris will sich so wenig wie Madrid dem Terror beugen. Der Musikclub am Boulevard Voltaire, einer der bekanntest­en Konzerthal­len der Stadt, will wieder öffnen. „Es wäre eine Kapitulati­on, würden wir das nicht tun“, betonte BataclanCh­ef Dominique Revert. Am Sonntag fand sich vor der Konzerthal­le eine Gruppe von französisc­hen Imamen ein. Als Zeichen der Solidaritä­t mit den Opfern sangen sie die französisc­he Nationalhy­mne.

„Eine treue Gruppe der Armee des Kalifats (. . .) griff die Hauptstadt der Unzucht und des Lasters an.“

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BILD: SN/AP/EPA Trauer, Betroffenh­eit und ein großes Polizeiauf­gebot vor den größten Sehenswürd­igkeiten in Paris, wie vor der Basilika Sacré-Coeur de Montmartre.
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