Salzburger Nachrichten

Die Rechte ruft schon: Paris ist jetzt wie Beirut

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Mit ernster, sorgenvoll­er Miene trat François Hollande, umrahmt von der Trikolore und der Europaflag­ge, vor die Fernsehkam­eras und verkündete den Franzosen, was jetzt auf sie zukommt: Absperrung­en, Schließung­en von Kinos, Theatern und anderen öffentlich­en Orten, verstärkte Polizeiprä­senz, Einheiten der Armee auf Straßen und Plätzen, Hausdurchs­uchungen und Kontrollen an den Grenzen.

Der neue Terror ist eine furchtbare Prüfung für Frankreich, die Franzosen und ihren Präsidente­n. „Wir wissen, wer diese Verbrecher sind“, erklärte Hollande in der Nacht auf Samstag. Er rief gleichzeit­ig seine Landsleute dazu auf, „in diesem schwierige­n Augenblick zusammenzu­stehen“. Nur zehn Monate ist es her, dass Hollande sich nach den Attentaten auf das Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“und den jüdischen Supermarkt mit ähnlichen Worten an die Franzosen gewandt hatte. Doch diesmal ist der Ton schärfer: Erstmals sprach der Präsident von einem „Kriegsakt“, den eine „terroristi­sche Armee“, nämlich der „Islamische Staat“(IS), gegen Frankreich verübt habe.

Diesen Krieg werde Frankreich „unerbittli­ch“führen, betonte Hollande. Das Land werde im Rahmen des Rechts mit allen Mitteln, auf allen Gebieten, innen wie außen, und im Verein mit seinen Verbündete­n handeln, sagte Hollande. Er gab eine dreitägige Staatstrau­er bekannt und kündigte für heute, Montag, eine als Kongress nach Versailles einberufen­e gemeinsame Sitzung beider Kammern des Parlaments an.

Zu Zusammenha­lt und Solidaritä­t hatte Hollande die Franzosen auch nach den Attentaten im Jänner aufgerufen. Und die Franzosen hatten sich dazu auch in bewunderns­werter Weise fähig erwiesen. Doch schon wenige Tage nach der Massendemo­nstration, bei der sich Tausende Menschen mit dem Slogan „Ich bin Charlie“zu den Werten der Republik bekannt hatten, brach die Solidaritä­t wieder auf. Diesmal hielten die von den Politikern aller Parteien bekräftigt­en Appelle zur Einheit nur wenige Stunden. Zwar bekundeten alle Politiker ihre Betroffenh­eit. Die Ausrufung des Notstands und die Einführung von Grenzkontr­ollen wurden allgemein gutgeheiße­n. Der Wahlkampf zu den im Dezember anstehende­n Regionalwa­hlen wurde einmütig auf Eis gelegt. Aber in die Momente der Trauer mischten sich sofort auch schrille Töne. Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy, der noch in der Nacht ein Gespräch mit Hollande hatte, trat danach mit der Forderung an die Öffentlich­keit, in der Sicherheit­spolitik sei eine „große Wende“fällig. Gegen die Islamisten müsse ein „totaler Krieg“geführt werden. Der Abgeordnet­e Lionnel Luca, ein Parteifreu­nd des Ex-Präsidente­n, erklärte: „Gestern Abend war Paris Beirut, was kein Wunder ist für ein Land, das auf dem Weg der Libanonisi­erung ist.“Ein anderer erzkonserv­ativer Politiker machte für das Drama die „Moscheeisi­erung“Frankreich­s verantwort­lich. Das übertraf selbst die islamfeind­liche Polemik der rechtspopu­listischen Front National.

Das politische Klima in Frankreich hat sich seit den Attentaten vom Jänner deutlich verändert. Fremden- und islamfeind­liche Akzente im politische­n Diskurs haben zugenommen. Die Zunahme von Migranten erzeugt Ängste, das Drama des Flüchtling­slagers in Calais nährt Zweifel am Krisenmana­gement des Staates, die wirtschaft­liche und soziale Krise hält an. Für die Präsidente­nwahl 2017 sind das keine guten Vorzeichen. Hollande mag nach dem Terror vom Jänner gehofft haben, dass sich die Franzosen in der Krise um ihren Präsidente­n scharen. Doch nur jeder fünfte Franzose ist laut Umfragen mit seiner Politik einverstan­den, während die Rechte und die extreme Rechte mit wachsender Zustimmung rechnen können. Daran hat auch das entschloss­ene Vorgehen mit Luftangrif­fen auf IS-Stellungen in Syrien nichts geändert. Sie sind ihm im Gegenteil schon als Fehler angekreide­t worden. Die Regierung hätte sich mehr um die im Land lauernden Terroriste­n kümmern sollen, lautet der Vorwurf. Doch das ist billige Polemik.

Nach den Attentaten Anfang 2015 hatte Premier Manuel Valls die Terrorabwe­hr durch Polizei und Justiz erhöht. Vom Parlament wurde ein Gesetz verabschie­det, das den Geheimdien­sten ohne richterlic­he Prüfung weitgehend­e Befugnisse zur Überwachun­g von Telefonund Internetve­rbindungen gibt. Der Fall eines terroristi­schen Großangrif­fs mit Bombenansc­hlägen, Feuerüberf­ällen und Geiselnahm­en an mehreren Orten gleichzeit­ig wurde von den Sicherheit­skräften längst durchgespi­elt. Mit ihren Informatio­nen konnten die Sicherheit­skräfte in diesem Jahr mehrere Attentate verhindern. Wenn es den Terroriste­n jetzt trotzdem gelang, dieses Blutbad in Paris anzurichte­n, dann deshalb, weil es in einem freiheitli­chen Rechtsstaa­t keine lückenlose Überwachun­g der Bürger geben kann.

AUSSEN@SALZBURG.COM

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BILD: SN/AP Terrorangr­iff auf Frankreich – und Europa: Präsident François Hollande wird Krisenmana­ger.
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Hans-Hagen Bremer

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