Terror übertönt Niederlagen
Das Kalifat-Projekt des „Islamischen Staates“ist zuletzt unter massiven militärischen Druck geraten. Die Miliz kann sich aber keine Schwäche leisten.
Ohne Worte . .
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Bis vor einigen Tagen sah es so aus, als würde es eine schlechte Woche für die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS). In Nordsyrien starteten die USA Luftangriffe auf die vom IS eroberten Ölfelder. Zwar schonen die russischen Kampfjets die IS-Gebiete bislang auffällig, doch da und dort ist es bereits zu Attacken gekommen. Und im Nordirak begannen die Kurden die lang erwartete Großoffensive mit schnellen Erfolgen. Dann aber kam der Donnerstag. In der libanesischen Hauptstadt Beirut töteten Selbstmordattentäter mehr als 40 Menschen in einem vor allem von Schiiten bewohnten Viertel. In Bagdad nahm am Freitag ein Selbstmordattentäter eine schiitische Moschee ins Visier. Dann folgte Paris.
Der kurze Abstand zwischen den Anschlägen lässt auf eine längere Planung schließen. Auch der Termin dürfte wohl gewählt sein. Ihre blutige Botschaft sendeten die Extremisten vor Beginn des G20-Gipfels in der Türkei. Mittlerweile gibt es kaum noch Zweifel, dass tatsächlich der IS hinter den Anschlägen steht. Keine andere Organisation wäre logistisch dazu in der Lage. Zudem trägt das Bekennerschreiben, das im Internet auftauchte, sowohl im Sprachstil als auch im Layout die bekannte IS-Handschrift. „Eine treue Gruppe der Armee des Kalifats“habe die „Hauptstadt der Unzucht und des Lasters“attackiert, tönen die Dschihadisten in der Botschaft, die mit einem Zitat aus dem Koran beginnt und sich gegen die „Kreuzfahrer“richtet. Auch eine Drohung fehlt nicht: Paris und seine Verbündeten stünden „ganz oben auf der Liste der Ziele des ‚Islamischen Staates‘“.
Sollten die Geheimdienste westlicher Staaten recht behalten, dann war auch der Absturz eines russischen Passagierjets über der ägyptischen Sinaihalbinsel ein Attentat des IS – und müsste in die Kette der Terrorangriffe eingereiht werden. Schon aus dem Airbus-Unglück lasen Experten heraus, dass sich der IS stärker internationalisiert und sich Regionen jenseits seines Herrschaftsgebiets in Syrien und im Irak zuwendet.
Die Attentate passen auch zur Lage in den vom „Islamischen Staat“ besetzten Gebieten, die mehr als ein Drittel des Iraks und gut die Hälfte von Syrien umfassen. Im Lauf der vergangenen zwei Jahre hat die aus der beinahe schon vernichteten Al Kaida im Irak hervorgegangene Organisation zwar einen erfolgreichen Blitzkrieg geführt. Ziel ist die Errichtung eines eigenen Gottesstaats, in dem einzig der Wille Allahs herrscht – wie er von den Extremisten fantasiert und interpretiert wird. Dann aber, so die Verheißung, würden sich endlich Glück und Harmonie einstellen. Von einem „dschihadistischen Staatsbildungsprojekt“spricht der Experte Volker Perthes. Ein Projekt jedoch, das nur gelingen kann, solange deren Verkünder von den sunnitischen Bewohnern der Region auch geduldet werden.
Zuletzt ist der Vormarsch der Dschihadisten von außen gebremst worden, sie mussten militärisch herbe Niederlagen einstecken. Und wann immer das „Kalifat“militärisch in Bedrängnis gerät, sucht es durch andere Aktionen Aufmerksamkeit – etwa durch die Veröffentlichung von Enthauptungsvideos. Der „Islamische Staat“braucht militärische Erfolge und spektakuläre Terrorakte, um sich die Gefolgschaft zu sichern und seine Gefährlichkeit zu beweisen. Seine Anziehungskraft beruht nicht zuletzt darauf, dass die Miliz und ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi als mächtig und rücksichtslos gelten.
Mit den Anschlägen von Paris haben die Chefs der Terrormiliz zudem ihrem Vorgänger Al Kaida den Rang abgelaufen. Die Zeiten des von Osama Bin Laden gegründeten Netzwerks scheinen endgültig vorüber zu sein. Durchaus möglich aber, dass die Attentate des IS der Anfang des eigenen Endes sind. Solange sich die Islamisten auf die Eroberung und Sicherung eines eigenen Territoriums in den zerfallenden Staaten Irak und Syrien beschränkt haben, zeigte keine Macht der Welt wirkliches Interesse daran, den IS zu bekämpfen. Das könnte sich ändern.