Salzburger Nachrichten

„Es war das blanke Grauen“

Helfer und Zeugen aus Österreich berichten, wie sie die Anschläge in der französisc­hen Hauptstadt erlebt haben.

- J. Suchentrun­k, Österreich­er in Paris mars, m.b., par

„Müde, aber endlos erleichter­t.“So beschreibt der Arzt Hermann Köhle seine Stimmung. Der Mediziner hat sich noch in der Nacht auf Samstag mit dem Vater des 20-jährigen Daniel B. auf den Weg nach Paris gemacht. Daniel B. wurde in der Konzerthal­le Bataclan schwer verletzt, jetzt ist er außer Lebensgefa­hr. Der Tiroler aus Tarrenz (Bezirk Imst) erlitt einen Bauchschus­s. „Der Vater hatte keinen Kontakt zu ihm. Deshalb sind wir losgefahre­n, um ihn nach Hause zu holen“, sagt Köhle. Und: „Daniel und seine Freundin Alexandra wurden als Geiseln genommen.“

Als die Polizei das Gebäude stürmte, verloren sich die Freundin und der schwer verwundete junge Österreich­er aus den Augen. Er soll noch zu seiner Freundin gesagt haben: „Ich bin verletzt“, erzählt Köhle. „Handy und Ausweise hatte er verloren. Deshalb haben wir ihn nicht erreicht“, sagt der Mediziner.

Die Familie und der befreundet­e Arzt erlebten bange Stunden. „Gemeinsam mit Botschafts­mitarbeite­rn haben wir fast alle Pariser Krankenhäu­ser abgesucht. Wir hatten große Sorge, weil noch immer 25 Tote nicht identifizi­ert waren“, sagt Köhle. Als nur noch wenig Hoffnung bestand, klingelte plötzlich das Handy des Vaters.

„Daniel hat die Nummer nach seiner Notoperati­on einer Krankensch­wester aufgeschri­eben. Sprechen konnte er so kurz nach der OP noch nicht.“Mittlerwei­le habe Daniel bereits mit Vater und Freundin gesprochen. „Es war das blanke Grauen“, habe er erzählt. Der Zustand des jungen Tirolers sei mittlerwei­le stabil. „In zwei bis drei Tagen können wir Daniel wohl mit dem Ambulanzje­t nach Österreich ausfliegen“, sagt der Mediziner zuversicht­lich.

Die beiden Tiroler Mitglieder der Band White Miles, die als Vorband des Konzerts in der Bataclan-Halle fungiert hatte, sind bereits am Sonntag sicher in Österreich gelandet. Sänger Hansjörg Loferer und die Gitarristi­n Medina Rekic waren glückliche­rweise genau zum Zeitpunkt der Schießerei etwas zu essen holen gegangen.

Die Österreich­erin Theresa Cede, eine Konzertbes­ucherin, war hingegen Zeugin des Anschlags. „Sie sind von hinten in den Saal reingestür­mt und haben angefangen herumzusch­ießen. Einer von ihnen hat gerufen ,Rache für Syrien‘, dann wurde gerufen, dass niemand sich bewegen soll“, erzählt die 39-Jährige. Sie sei eine Stunde lang am Boden gelegen. Denn jeder, der sich bewegt habe, sei abgeschoss­en worden. So wie jemand neben ihr, dem direkt in den Kopf geschossen worden war, der direkt auf sie gefallen sei. „Ich war beim Konzert etwas weiter hinten. Ich habe weiß nicht wie viele Schutzenge­l gehabt, dass ich das überlebt habe“, erzählt sie in einem Radiointer­view.

So viel Glück hatten zwei Mädchen nicht, die an derselben Uni – der Sup de Pub – studieren wie die Wienerin Cosima Ferrari, die dort gerade ihr Auslandsse­mester absolviert. „Deshalb wird es morgen eine Gedenkvera­nstaltung an der Uni geben“, erzählt die 21-Jährige. Sie habe von den Terroratta­cken in der Metro erfahren. „Ich war gerade auf dem Weg zu einer Party in einer Wohnung, die zwei Straßen entfernt von einem der Lokale liegt, die attackiert worden waren“, sagt sie. Ein bisschen mulmig sei ihr deshalb nun schon, sei sie doch selbst dort öfter ausgegange­n.

Der seit 18 Jahren in Paris lebende Architekt Johann Suchentrun­k wurde Freitagabe­nd Ohrenzeuge des Attentats auf das Café La Belle Equipe. Der gebürtige Tiroler wohnt knapp 250 Meter von dem beliebten Ausgehloka­l entfernt und hörte, als er die Fenster aufmachte, die Salven der Maschinenp­istolen. „Zwei bis drei Minuten dröhnten die Kalaschnik­ows“, berichtete der 57Jährige am Sonntag. Dann sei es sehr still geworden: „Wir haben erst nicht gewusst, was los ist, erst als eine Schulfreun­din meiner Tochter anrief und fragte, ob es uns wohl gut gehe, erfuhren wir von dem Terroratte­ntat.“

Im Café La Belle Equipe starben Freitagnac­ht 18 Gäste. Am Samstag zündete der Architekt Kerzen am Tatort als Zeichen der Trauer an. Wie es nun in Paris weitergeht? Ob er in Angst lebt? „Angst ist nicht das richtige Wort. Schließlic­h hat man sich seit dem Attentat Anfang Jänner an die Terrorgefa­hr gewöhnt“, sagt der 57-Jährige. In Paris müsse man immer mit einer gewissen Bedrohung leben, da es viele fanatische Islamisten gebe. Der Terrorakt vom Freitag habe ihn, Suchentrun­k, nicht überrascht: „Man musste damit rechnen und wir müssen auch damit rechnen, dass es in Zukunft ähnliche Attentate geben wird.“

Das sieht Wolfgang Schwarz ähnlich. Der gebürtige Steirer lebt und arbeitet bereits seit 26 Jahren in Paris. Seit September darf er sich Präsident der Associatio­n Autrichien­ne à Paris nennen, der Vereinigun­g, die sich in der französisc­hen Hauptstadt um Auslandsös­terreicher kümmert. „Ich glaube, dass das mit den Attentaten 1995 angefangen hat, als algerische Islamisten Schnellbah­nzüge gesprengt hatten“, sagt Schwarz. Denn Paris sei nun einmal das Zentrum der Aufklärung und der westlichen Kultur und deshalb Islamisten schon immer ein Dorn im Auge. Dazu kämen die sozialen Konflikte innerhalb Frankreich­s, vor allem die schlecht funktionie­rende Integratio­n von Migranten. Schwarz sei zuversicht­lich, dass die Pariser sich durch diese Attentate nicht einschücht­ern lassen werden. Allerdings mache er sich Sorgen um den Österreich­erBall, der stets im Jänner stattfinde­t. „Wenn es noch mehr Attentate gibt, können solche Veranstalt­ungen nur mehr schwer abgehalten werden“, sagt er.

Österreich­s Botschafte­rin in Paris, die ehemalige Außenminis­terin Ursula Plassnik, hatte die Terrornach­t in Paris in „höchster Anspannung“erlebt. Das Szenario, also fast gleichzeit­ig durchgefüh­rte Anschläge im öffentlich­en Raum, sei „der Albtraum schlechthi­n“gewesen, betonte Plassnik. Sie konstatier­t für ganz Frankreich eine „Extremsitu­ation“. Nun gelte es die Schockphas­e rasch zu überwinden und wieder zum Alltagsleb­en zurückzuke­hren. Nach den Anschlägen auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“vor einem halben Jahr sei das Frankreich ja ebenfalls gelungen.

„Müssen damit rechnen, dass es auch in Zukunft Attentate geben wird.“

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