Betroffenheit und Drohungen im Netz
Hilfe trifft auf Propaganda. Eine der wichtigsten Rollen nach den Anschlägen in Paris spielte das Internet.
Das am häufigsten geteilte Bild in den sozialen Netzwerken ist dieser Tage wohl das Peace-Zeichen mit dem Eiffelturm in seiner Mitte. Aber auch das Männchen mit seinem Aufruf „Leben statt beten“, das der „Charlie Hebdo“-Zeichner Joann Sfar entworfen hat, kursiert tausendfach auf Facebook, Twitter und Instagram. Besonders beliebt unter Facebook-Nutzern ist es, das eigene Profilbild in den Farben der Flagge Frankreichs einzufärben, um so Mitgefühl und Fassungslosigkeit über die Anschläge in Paris auszudrücken. Abgesehen von den unzähligen Beiträgen, die seit Freitagnacht unter den Hashtags #ParisAttack, #NousSommesUnis, #NousSommesParis oder #PrayForParis verfasst werden.
Die sozialen Netzwerke dienen aber nicht nur dazu, Meinungen auszutauschen. Viele Menschen nutzen sie, um ihre Angehörigen und Freunde in Paris zu suchen, die sich in der Nähe einer der Anschlagsorte aufgehalten hatten – dem Fußballstadion Stade de France, in einem der betroffenen Restaurants oder in dem Konzertsaal Bataclan. Auch zwei Tage nachdem mehr als 120 Menschen getötet worden waren und mehrere Hundert verletzt, sucht ein Nutzer nach seinem 41 Jahre alten Freund Szeverin, der sich das Eagles-of-DeathMetal-Konzert angehört hatte. Dafür hat ein anderer Nutzer die 17jährige Lola mittlerweile glücklicherweise gefunden.
Auch Facebook selbst trug mit seinem „Sicherheitscheck“maßgeblich dazu bei. Nutzer konnten so Personen, mit denen sie Kontakt hatten, als „sicher“markieren, was auf deren Profil aufschien. Somit waren auch Freunde und Angehörige unverzüglich von deren Verbleib informiert. Rund vier Millionen machten weltweit davon Gebrauch. Es ist das zweite Mal, dass Facebook diesen Service anbietet. Schon bei dem Erdbeben in Nepal vor sieben Monaten war es zum Einsatz gekommen. Auch Google, der OnlineTaxi-Service Uber und die Übernachtungsplattform Airbnb, über die Privatpersonen Zimmer vermieten, boten ähnliche Funktionen an.
„Soziale Netzwerke sind schneller als jedes Außenministerium, wenn es darum geht, Informationen miteinander auszutauschen. Schon bei den Anschlägen auf den Boston-Marathon 2013 haben Angehörige über Google Familienmitglieder gesucht“, betont Judith Denkmayr von der Agentur Social Media Affairs.
Gleichzeitig gab es unter dem Hashtag #PorteOuverte (#OffeneTür) eine Welle der Solidarität mit jenen Menschen, die wegen der Anschläge nicht nach Hause konnten oder keine Bleibe hatten. Tausende Bewohner von Paris boten ihre Wohnungen für völlig Unbekannte über Twitter an. In der Nacht auf Samstag gab es binnen weniger Stunden 480.000 Tweets dazu.
Im Netz verbreitete sich aber nicht nur Mitgefühl, sondern auch Hass. „Man darf nicht vergessen, dass jeder die sozialen Netzwerke nutzen kann. Auch jene, die Panik auslösen wollen“, sagt Denkmayr.
Die Propagandamaschine der Islamisten ist nach den Anschlägen voll angelaufen. Viele IS-Anhänger nutzten den arabischen Hashtag #Paris brennt. Allerdings wurde er schnell von Gegnern der Extremisten übernommen, die ihre Abscheu über den IS ausdrückten. „Ich hab was zu feiern heute“, schreibt ein junger IS-Anhänger aus Österreich auf Facebook. Beim Blick auf Kommentare auf Facebook oder Twitter wird auch die Strategie der Islamisten klar: „Es sterben täglich Tausende Muslime in Palästina oder Syrien und das interessiert niemanden, und bei Paris heulen alle“, erklärt ein Bursch aus Tschetschenien.
Die Nutzer in den sozialen Netzwerken sollen sich aufstacheln. Laut Experten ist das eine beliebte Strategie des sogenannten „Islamischen Staates“(IS). Er wusste als erste Terrororganisation das Internet für seine Zwecke zu nutzen. Die Propagandafilme haben den Aufbau eines Hollywoodfilms, Schlachtszenen und Hinrichtungen werden inszeniert und tausendfach verbreitet. Das Ziel: immer mehr Junge zum Dschihad zu bewegen.