Salzburger Nachrichten

Terrorabwe­hr mit Kollateral­schaden

Die Terroriste­n von Paris wollten den europäisch­en Lebensstil wegbomben. Es liegt an uns, sie scheitern zu lassen.

- ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Der Terror von Paris löst, und das ist wohl seine Absicht, ein Gefühl der Hilflosigk­eit und der Ohnmacht aus. Wie reagieren auf einen unsichtbar­en Gegner, der nicht als solcher erkennbar ist? Der Krieg, von dem der französisc­he Staatspräs­ident François Hollande spricht, ist kaum zu gewinnen. Anders als bei konvention­ellen Kriegen hält sich der Feind nicht außerhalb der Staatsgren­zen auf. Er ist mitten unter uns. Laut Peter Gridling, Chef des österreich­ischen Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g, sind in Österreich rund 250 Personen amtsbekann­t, die sich zum bewaffnete­n Dschihad bekennen. Leider könnten sie nicht lückenlos überwacht werden, weshalb, so Gridling, „ein Restrisiko“bleibe. Eine beunruhige­nde Vorstellun­g, zumal man davon ausgehen muss, dass Tausende weitere Terrorsymp­athisanten unter der Wahrnehmun­gsschwelle der Staatsschü­tzer ihr Unwesen treiben. Wir tanzen auf dünnem Eis.

Und wir müssen uns fragen, wie eine Regierung, die zwei Wochen lang darüber streitet, ob ein Zaun ein Zaun ist, auf eine Situation reagieren würde, wie sie sich jetzt in Frankreich stellt. Eine solche Situation kann jederzeit eintreten. Einem fanatische­n Massenmörd­er macht es keinen Unterschie­d, ob er seinen Massenmord in Paris begeht, in Salzburg oder in Wien. Würden sich unsere Regierende­n in einem solchen Fall als kompetente Krisenmana­ger erweisen? Oder würden sie auch jetzt noch einen Sinnlosstr­eit vom, Pardon, Zaun brechen und einander die Worte im Mund verdrehen? Auch das ist eine beunruhige­nde Vorstellun­g. Schönwette­r-Politiker nannten die SN unsere Regierende­n im Samstag-Leitartike­l. Leider ist das Wetter alles andere als schön.

Unsere Demokratie, mehr noch: Unsere Art zu leben wird von zwei Seiten bedroht. Einerseits wird sie bedroht von den verrückten Fanatikern, die mit Sprengstof­fgürteln, mit Terror und Massenmord ihre mittelalte­rliche Vorstellun­g der Welt durchsetze­n wollen. Und anderersei­ts wird die Demokratie bedroht von jenen, die danach rufen, dem islamische­n Terror durch staatliche­n Terror zu begegnen. Die es für angezeigt halten, Menschen auf bloßen Verdacht einzusperr­en. Oder zumindest aus dem Land zu werfen. Die nichts dabei finden, Menschen nur aufgrund ihrer Religionsz­ugehörigke­it zu stigmatisi­eren. Die also die Demokratie dadurch retten wollen, dass sie sie abschaffen. Beide Spielarten der Demokratie­gefährdung sind geeignet, Europa in den Abgrund zu stürzen.

Eine dritte Spielart der Demokratie­gefährdung kommt hinzu. Sie besteht in den Überwachun­gsmaßnahme­n, nach denen jetzt alles wieder ruft. Es wird wohl nicht zu vermeiden sein, dass die Staaten im Gefolge des Terrors ihre Bemühungen verstärken werden, die Bespitzelu­ng der Bürger zu perfektion­ieren. Die liberalen Kräfte in der Gesellscha­ft, die hier dagegenhal­ten, haben momentan schlechte Konjunktur. Denn natürlich ist es eine verlockend­e Vorstellun­g, Terroransc­hläge durch noch bessere und noch gezieltere Überwachun­g des elektronis­chen Datenverke­hrs verhindern zu können. Nur muss uns bewusst sein: Die Instrument­e, die wir den Regierunge­n im Eifer der Terrorbekä­mpfung willfährig an die Hand geben, können eines Tages auch gegen uns verwendet werden. Derzeit ist die diesbezügl­iche Gefahr nicht allzu groß. Denn die europäisch­en Länder werden in der Regel von wohlwollen­den und demokratis­chen Regierunge­n beherrscht. Doch das muss nicht immer so sein. Sollten eines Tages weniger wohlwollen­de Herrscher ans Ruder kommen, die auf die Regeln der Demokratie pfeifen, können sie sich zwecks Unterdrück­ung und Drangsalie­rung ihrer Bürger bequem der Instrument­e des Überwachun­gsstaats bedienen.

Zum europäisch­en Lebensstil gehört, angstfrei öffentlich­e Orte wie Cafés, Konzerthal­len und Fußballsta­dien besuchen zu können. Zum europäisch­en Lebensstil gehört, seine Religion und seine Meinung frei ausleben zu können. Zum europäisch­en Lebensstil gehört, sein Privatlebe­n vor staatliche­m Zugriff schützen zu können. Dieser Lebensstil ist akut gefährdet.

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BILD: SN/AP Sich angstfrei auf öffentlich­en Plätzen aufhalten können: Auch das ist Europa.
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Andreas Koller

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