Liberal und links liegen voran
Spanien hat eine Wirtschaftskrise, illegale Zuwanderer und ein Islamistenproblem. Nach rechts rutscht das Land deswegen trotzdem nicht. Im Gegenteil.
In vielen europäischen Ländern erleben die rechten und rechtspopulistischen Parteien einen Aufschwung. In Großbritannien lehrt Nigel Farage mit seiner UKIP das politische Establishment das Fürchten. In Polen übernahm die national-konservative PiS das Amt des Präsidenten und wenig später die Regierung. In Ungarn brüstet sich Viktor Orbán mit einer „illiberalen Demokratie“und in Österreich wird die FPÖ von HeinzChristian Strache zum Umfragekaiser. Spanien ist anders. In Madrid lassen neue linke und liberale Protestparteien die regierenden Konservativen zittern. Die stehen bei der Parlamentswahl am 20. Dezember vor einer schweren Schlappe. Revolutionsstimmung statt fremdenfeindliche Sprüche und AntiEuropa-Parolen bestimmen den Wahlkampf. Die linksalternative Empörten-Bewegung Podemos („Wir können“) und die liberale Aufsteigerplattform Ciudadanos („Bürger“) heizen den Traditionsparteien ein. Einigkeit besteht bei allen Meinungsforschern, dass die konservative Volkspartei von Regierungschef Mariano Rajoy auf unter 30 Prozent abstürzen wird. Damit würde sie ihre bequeme absolute Mehrheit, die sie 2011 mit 45 Prozent der Stimmen errungen hat, verlieren. Zwar liegt der 60-jährige Rajoy in den Umfragen noch leicht vorn, doch ist ihm Spaniens neuer liberaler Politstar Albert Rivera, der erst 36 Jahre alte Chef von Ciudadanos, auf den Fersen.
Medienliebling Rivera lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht daran denkt, Rajoy als Juniorpartner zu einer zweiten Amtszeit zu verhelfen. „Wir wollen keinen Pakt mit Rajoy“, ruft er seinen Anhängern zu. „Wir wollen gewinnen.“In einer jüngsten Umfrage von „El País“, Spaniens größter Zeitung, liegen Riveras „Bürger“mit 22,6 Prozent nur ganz knapp hinter Rajoys Konservativen (22,7 Prozent), dicht gefolgt von den Sozialisten (22,5). Dahinter rangiert die aus Straßenprotesten entstandene Partei Podemos, die auf ansehnliche 17,1 Prozent geschätzt wird und von dem 37 Jahre alten Politologen Pablo Iglesias angeführt wird.
Wenn dem charismatischen Rivera das Wahlwunder gelingt und er gegen den Veteranen Rajoy gewinnt, erwartet Spanien ein kräftiger frischer Wind: Rivera verspricht einen „tiefgehenden Wandel“und eine „Regierung der Öffnung“, in der Kompetenz und nicht Parteibuch ausschlaggebend sein soll. Der redegewandte Politiker will auch mit der weitverbreiteten Schmiergeldwirtschaft aufräumen. „Wir sind ein Team mit sauberen Händen.“Das kommt gut an in einem Land, in dem die konservative Volkspartei Rajoys nach mehreren Korruptionsskandalen im Vertrauen der Bevölkerung absackte.
Doch eines steht jetzt schon fest: Das bisherige Zwei-Parteien-System, in dem sich in den vergangenen Jahrzehnten die Konservativen und die Sozialisten an der Macht abwechselten, steht vor dem Ende. Die frech auftretenden Parteien Ciudadanos und Podemos, beide noch nicht im Parlament vertreten, treiben die beiden traditionellen Parteien vor sich her. Eine der Folgen ist, dass sich sowohl Mariano Rajoy wie der sozialistische Spitzenkandidat Pedro Sánchez plötzlich ungewohnt bürgernah geben.
Rechte Parteien spielen keine Rolle. Was aber auch daran liegt, dass Rajoys Volkspartei Rechtspopulisten wie Anhänger der früheren rechten Franco-Diktatur problemlos integriert. Zu diesen Rechtsauslegern gehört zum Beispiel Rajoys prominenter Parteifreund Xavier García Albiol, Regionalfürst in der Immigrantenhochburg Katalonien. Dieser erwarb sich dort mit Hetzsprüchen gegen Einwanderer den unschönen Ruf, ein „spanischer Le Pen“zu sein.
„Wir sind ein Team mit sauberen Händen.“