Salzburger Nachrichten

„Präsident, du brichst das Recht“

Zehntausen­de Menschen gehen in Polen gegen die neue Regierung auf die Straße. Grund ist die Verfassung­skrise im Land.

- Mateusz Kijowski, Komitee-Gründer

Ihre Botschafte­n sind klar an diesem kühlen Samstagnac­hmittag. „Stoppt Duda!“, „Wir wollen die Herrschaft des Rechts, nicht die Herrschaft von Jaroslaw“, „Hier ist Warschau, nicht Budapest“oder „Präsident, du brichst das Recht“. Mit solchen Plakaten ziehen sie durch die Stadtzentr­en, stehen vor dem Verfassung­sgericht in der polnischen Hauptstadt. Zehntausen­de Menschen sind in Polen gegen die neue Regierung auf die Straße gegangen, allein in Warschau sollen es mehr als 50.000 Demonstran­ten gewesen sein, organisier­t vom opposition­ellen Bündnis Komitee zum Schutz der Demokratie (KOD). Die Proteste richten sich gegen den konsequent­en wie zynischen Rechtsbruc­h der Machtspitz­e, die Regierungs­gegner befürchten eine „Schleifung der Demokratie“.

Vor fast genau einem Monat hat Polens Präsident Andrzej Duda die neue Regierung vereidigt. Der 43Jährige war selbst ein Überraschu­ngsgewinne­r aus dem näheren Umfeld des stets zürnenden Jaroslaw Kaczyński. Der Chef der erzkonserv­ativen Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) hat auch bei der Parlaments­wahl die unbekannte, doch fleißige Beata Szydło ins Rennen geschickt, die nicht erst seit ihrer Wahl zur Ministerpr­äsidentin eine wunderbare Marionette Kaczyńskis abgibt. Hardliner aus der früheren Kaczyński-Zeit dominieren nun die Regierungs­posten und treiben den Umbau des Staates voran. Das Ziel: ein autoritäre­s Polen, gegen das sich nun viele Menschen im Land wehren.

Noch bevor die neue Regierung stand, sorgte sie für Schlagzeil­en. Zwar wurde der frühere Chef der Antikorrup­tionsbehör­de, Mariusz Kamiński, kurz vor der Wahl zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Szydło störte das jedoch wenig, sie berief Kamiński zum neuen Geheimdien­stkoordina­tor. Wenige Tage nach dem Amtsantrit­t schritt Polens neuer Vizeregier­ungschef und Kulturmini­ster, Piotr Gliński, zum Umbau der Presseland­schaft und versuchte ebenso, die Aufführung von Elfriede Jelineks „Der Tod und das Mädchen“im Theater von Breslau zu unterbinde­n. „Zu viel Sex auf der Bühne“störe seine Vorstellun­g von der Moral, erklärte er.

Nun aber spaltet ein Verfassung­sskandal das Land. Zwar ist Präsident Duda Jurist, doch selbst sein Doktorvate­r wirft ihm Verfassung­sbruch vor. Angefangen hat alles Anfang Dezember, als Polens Verfassung­sgericht die Wahl von drei Verfassung­srichtern durch das noch von der alten Regierungs­partei PO dominierte Vorgängerp­arlament für verfassung­sgemäß und gültig erklärte. Duda aber weigerte sich, diese drei zu vereidigen, obwohl die Entscheidu­ngen des Gerichts nach Paragraf 190 der polnischen Verfassung endgültig und bindend sind. Mittlerwei­le hat die PiS fünf eigene Richter eingesetzt, die Duda auch bereits vereidigt hat. Führende Juristen im Land geißeln das Vorgehen als Angriff auf den Rechtsstaa­t.

„Mehrheit bedeutet nicht Diktatur.“

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BILD: SN/AP Allein in Warschau gingen etwa 50.000 Menschen auf die Straße.

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