In Colmar öffnet sich ein Schatz
In drei Jahren und um 44 Millionen Euro wurde ein Schatzhaus europäischer Kunst erneuert.
Colmar, eine Stadt im Elsass, ist französisch und deutsch zugleich, träumt so vor sich hin, hat gute Restaurants mit besten Weinen, und der hiesige Gewürztraminer schmeckt wie ein Götterfunken nach der Gehaltsaufbesserung.
Die Straßen haben alle französische Namen, aber das Museum heißt auf gut Deutsch Unterlinden Musée. Hier im Kloster lebten und wirkten die Dominikanerinnen, vom 13. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution. Seit 1853, als das Elsass wieder einmal französisch war, dienen die ehrwürdigen Gebäude als Museum. Sein größter Schatz: der Isenheimer Altar. Zu dem sind sie alle hingepilgert: Pablo Picasso, August Macke, Max Ernst, Henry Moore, André Malraux, Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig, Theodor Heuss, Paul Celan, Werner Herzog und viele mehr. Denn dieser Kunstkomplex, vor 500 Jahren von dem fränkischen Maler Matthias Grünewald geschaffen, ist eine Weltrarität. Die ist seit Samstag wieder komplett zu besichtigen. Der Isenheimer Altar gilt als die Hauptattraktion, aber insgesamt bekommen wir Kunst aus 7000 Jahren präsentiert. „Die verschiedenen Gebäude sollen eine Einheit der verschiedenen Zeitzonen wie auf einer Zeitreise schaffen“, sagte Direktorin Pantxika de Paepe.
Drei Jahre haben Renovierung, Umbau und Neubau gedauert. Herausgekommen ist ein Museum mit einem neuen, eigenen Rhythmus. Dafür hat das Basler Architektenbüro Herzog & de Meuron gesorgt, ein Team, das nicht bloß Häuser baut, sondern Areale der Extraklasse, so die Elbphilharmonie in Hamburg, die Tate Gallery in London oder das Olympiastadion in Peking.
Architektur sorgt dafür, dass es zu Begegnungen und Berührungen kommt. Das Unterlinden-Museum ist diesem Prinzip des Dialogischen verpflichtet. Es ist kein schnelles Museum. Wir tauchen hinab in die Jungsteinzeit mit Äxten und Keramik. Dann kommen Mittelalter und Renaissance. Glanzlichter: die Gemälde von Martin Schongauer.
Wer Fragen an die Volkskunst des 17. und 18. Jahrhunderts hat, wird sich in den oberen Etagen bei Trinkschoppen, Kachelofen und Essigfässern wohlfühlen. Aber dann der Chor im Erdgeschoß! Der Chor der ehemaligen Klosterkirche birgt den Gipfel aller konservatorischen Bemühungen, er ist dem Isenheimer Altar vorbehalten. Wer früher einmal Colmar besucht hat, wird sich hier wieder zurechtfinden. Denn Kirche und Kreuzgang sind sozusagen das alte Unterlinden-Museum.
Aber was auf den ersten Blick nicht auffällt: Das neue Museum ist doppelt so groß geworden. Plötzlich verfügt man über 8000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Da kann man die Depots lüften und großzügige Wechselausstellungen planen.
Hinunter also in den unterirdischen Verbindungstrakt! Das ist kein nackter Tunnel, sondern eine Galerie, die Aufmerksamkeit für die Geschichte des Museums selbst einfordert. Bei Landschaften und Bildnissen elsässischer Künstler mag verweilen, wer ein Faible für derlei Sujets hat. Belangvoll sind sie nicht.
Originell dagegen das Kleine Haus. Es empfängt uns ein vielkantiger Bau, weiß und leer, der einzig drei programmatische Bilder beherbergt: eine an die Revolutionswirren gemahnende Todesallegorie eines gewissen Théophile Schuler (1851), nicht bedeutend, aber effektvoll, dann einen frühen, religiössymbolistischen Georges Rouault von 1894 („Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten“) und einen düster flirrenden Claude Monet von 1889 („Das Tal der Creuse“), dessen Impressionismus bereits auf die Kunst des 19. und des 20. Jahrhunderts hinweist, die im Neubau, dem gotischen Kloster nicht unähnlich, wartet. Die Moderne dort ist ansehnlich vertreten: mit Delaunay, Bonnard, Baumeister, de Staël, Soulages, Poliakoff, Dubuffet, Thurnauer und anderen. Darunter sind Werke, die wie eine persönliche Entdeckung wirken, zum Beispiel ein buntes Patchwork von Roger Bissière (1947), das die Kathedrale von Chartres, von zwei Engeln eingerahmt, darstellen soll, oder ein Picasso, der ja am liebsten Frauen wiedergegeben hat, hier aber mit einem listig-lustigen „Kopf eines Mannes mit Strohhut“(1971) zur Stelle ist.
Den Schlusspunkt des neuen architektonischen Ensembles mussten Herzog & de Meuron nicht planen, nur umrüsten. Das alte Stadtbad im dezenten Jugendstil, nun vorgesehen für Konzerte und Ausstellungen, überrascht durch seine offene Helligkeit, überhaupt durch seine sympathischen Proportionen. Erbaut 1906, als das Elsass wieder einmal deutsch war, bietet es eine Art historisches, ästhetisches und kreatives Erinnerungspanorama. Wechselwirkungen inbegriffen.
Zur Eröffnung am vorigen Samstag waren 75 Prozent von dem zu sehen, was man zeigen will. Wenn für Ende Jänner Frankreichs Präsident François Hollande und der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, angekündigt sind, wird wohl das meiste an seinen Platz gerückt sein. So arbeitet man peu à peu an der Fortschreibung eines Museums.