Salzburger Nachrichten

Unter zwei Grad

So könnte es gehen: Der neue Klimavertr­ag soll die Erhitzung der Welt stoppen.

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PARIS. Ein Wort hätte die kunstvoll ausbalanci­erte Architektu­r des UNO-Klimaabkom­mens am Ende fast noch ins Wanken gebracht: Unmittelba­r vor der dann erfolgreic­hen Abschlussb­eratung brach am Samstagabe­nd plötzlich noch einmal Hektik aus – und Delegierte und Beobachter fragten sich, warum Frankreich­s Außenminis­ter Laurent Fabius die Sitzung nicht endlich eröffnete.

Der Hintergrun­d war, neben einigen anderen weniger bedeutsame­n Ungereimth­eiten, die Frage von „shall“und „should“. „Entwickelt­e Länder sollen weiterhin die Führung bei die gesamte Wirtschaft betreffend­en Zielen zur Senkung der Emissionsw­erte übernehmen“, hieß es in dem den Delegierte­n vorliegend­en Text. Dort hätte aber „sollten“stehen müssen, reklamiert­e die US-Delegation. Im Deutschen nur ein Buchstabe, aber ein wichtiger rechtliche­r Unterschie­d.

„Shall“(sollen) wäre eine bindende Verpflicht­ung, die für das ganze Abkommen eine Ratifizier­ungspflich­t durch den US-Kongress auslösen könnte, wo das Klimaabkom­men so gut wie sicher an der Mehrheit der Republikan­er scheitern würde. „Should“(sollten) ist dagegen eine weniger verbindlic­he Aufforderu­ng. Genau deswegen hätte eine Reihe von Schwellen- und Entwicklun­gsländern an dieser Stelle tatsächlic­h lieber „shall“gehabt – wollte daran dann aber das Abkommen doch nicht scheitern lassen.

Aus diesem Grund erschien Frankreich­s Außenminis­ter und Konferenzl­eiter Laurent Fabius am Samstagabe­nd mit reichlich Verspätung im Plenarsaal auf dem Messegelän­de Le Bourget bei Paris. Die Anstrengun­gen des Verhandlun­gsmarathon­s waren ihm nicht anzusehen, als er auf der Bühne, flankiert von UNO-Generalsek­retär Ban Ki Moon und Christiana Figueres, der für das Rahmenabko­mmen zum Klimaschut­z zuständige­n UNO-Exekutivdi­rektorin, den Blick durch den Saal schweifen und dann einen kleinen grünen Hammer auf das Pult niedersaus­en ließ. Er sagte: „Ich erkläre das Abkommen von Paris über das Klima für angenommen.“Hunderte Männer und Frauen rissen jubelnd die Arme hoch. Menschen verschiede­nster Hautfarben fielen einander in die Arme. Einige von ihnen hatten feuchte Augen. Vorn auf dem Podium rief jemand: „Es lebe der Planet!“Fast hätte man meinen können, hier steige ein Eine-Welt-Festival, bei dem schon sehr viel Gras geraucht wurde.

Doch diejenigen, die jubeln, sind stocknücht­ern. Es sind Minister und Regierungs­beamte aus 195 Nationen. Sie freuen sich, dass es nach 20 Jahren Verhandlun­gen gelungen ist, einen Weltklimav­ertrag zu vereinbare­n. Der euphorisch­e Mann mit Brille, der „Vive la planète!“rief, ist Frankreich­s ansonsten eher glückloser Präsident François Hollande.

Große Erleichter­ung macht sich nach Tagen, an denen so viel auf dem Spiel stand, breit. Die mahnenden Stimmen sind jedoch nicht zu überhören. „Über das Ergebnis wird man später nicht aufgrund des Vertrags urteilen“, sagt etwa Toriq Ibrahim, Umweltmini­ster der Malediven. „Sondern aufgrund dessen, was wir jetzt daraus machen.“Doch die Hoffnung überwiegt, wie es der indische Delegierte Pankrash Javadekar ausdrückt, „dass wir mit diesem Vertrag unseren Kindern eine bessere Welt hinterlass­en können“.

Denn immerhin: Die konstrukti­ven Verhandlun­gen in Paris und auch die „Koalition der Ehrgeizige­n“, die das Ziel einer auf 1,5 Grad begrenzten Erderwärmu­ng erstmals in einem völkerrech­tlich bindenden Vertrag verankert haben, machen Mut. Dies gilt erst recht in dieser Zeit neuer Spannungen zwischen Ost und West, in der die Weltgemein­schaft bei der Lösung so vieler Konflikte auf der Stelle tritt.

„Ich hoffe, dass dies auch ein Signal sein kann für die Lösung aktueller Konflikte“, sagte Beth Brunoro vom australisc­hen Umweltmini­sterium.

„Ich hoffe, das kann ein Signal sein für die Lösung aktueller Konflikte.“

Beth Brunoro, Australien

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BILD: SN/AP Zwei als Eisbären verkleidet­e Umweltakti­visten fallen sich in Paris in die Arme.
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Hans-Hagen Bremer berichtet für die SN aus Frankreich

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