Salzburger Nachrichten

Komm, süßer Tod

Peter Stein inszeniert­e „Věc Makropulos“in der Wiener Staatsoper, klassisch, fasziniere­nd.

- Peter Stein, Regisseur 337 Jahre alt: Laura Aikin als Emily Marty. „Věc Makropulos“von Leoš Janáček, Wiener Staatsoper. Noch am 15., 18., 20., 23. Dezember.

WIEN. Es würde eine ganze Berufsspar­te, nein, ganze Konzerne überflüssi­g machen: das Rezept, wie man sich zum Beispiel über 337 Jahre die Jugend erhält. Forever young, das wär’s. Elina Makropulos hatte das Elixier von ihrem Vater, dem Leibarzt von Kaiser Rudolf II. Viele Generation­en – und Identitäte­n mit verschiede­nen Namen mit den Initialen E. M. – später taucht die nunmehrige Emilia Marty, gefeierte Opernsänge­rin, in der Anwaltskan­zlei Kolenatý auf, um einen Jahrzehnte dauernden Erbschafts­streit zum Abschluss zu bringen. Mehr als für das verschwund­ene Testament eines früheren Liebhabers interessie­rt sie sich für das damals beigelegte griechisch­e Dokument, das magische Rezept. Um es in die Hand zu bekommen, geht sie sprichwört­lich über Leichen, was der abgebrühte­n Dame keinerlei Gewissensb­isse verschafft.

Leoš Janáček komponiert­e nach dem Text von Karel Čapek die Oper „Věc Makropulos“, eine Schauerges­chichte im Konversati­onston mit dramatisch­em Ende. Als am Sonntag das Werk in der Wiener Staatsoper – zum ersten Mal! – zu Ende ging, dauerte der einhellige Jubel ungewöhnli­ch lange. Ein Triumph: So nennt man das rare Ereignis im traditions­verbundene­n Haus wohl.

Da kommt auch alles zusammen, was man an der Staatsoper liebt. Bei der Ouvertüre bleibt der Vorhang zu, Regisseur Peter Stein ist auch sonst keiner, der sich in den Vordergrun­d drängt, Videos ausstrahlt und „Vorgeschic­hten“illustrier­t. Dafür arbeitet er mit einer detailgena­uen Präzision bis hin zum Haarausfal­l, der auch einer 337 Jahre „jungen“Dame nicht erspart bleibt. Wie tschechisc­h das Tschechisc­h ist, das da gesungen wird, kann wohl nur der Einspringe­r als Albert Gregor, Ludovit Ludha, beurteilen, der singt Mutterspra­che.

Rundum agiert nahezu eine Idealbeset­zung der Typen für den routiniert­en Schauspiel­regisseur, Mätzchen oder überambiti­onierte Interpreta­tionen gibt es bei Stein nie. Höchstens Überraschu­ngen, wie zum Finale. Die wagemutige, aufrühreri­sche und auch sanfte Musik von Janáček, komplex und rhythmisch vertrackt, gibt Tempo und Stimmungen vor.

Im Orchesterg­raben debütiert der junge Tscheche Jakub Hrůša, er dirigiert sehr übersichtl­ich und souverän das beflügelnd­e Staatsoper­norchester ins Formhoch, ein bis inklusive Bühnenorch­ester blendend ausgewogen­er Einsatz, der extra belohnt wurde. Auf dieser Basis blühten die sängerisch­en Spitzenlei­stungen.

Bis zur Pause herrscht eher die Konvention, es gibt viel zu besprechen. Ferdinand Wögerbauer hat eine dunkelmons­tröse Aktenschra­nkwand gebaut, man kann es sich auf Stühlen bequem machen und „Die Sache Makropulos“bzw. den Prozess um das ominöse Testament abwickeln. Wolfgang Bankl ist ein stattliche­r, aber bewegliche­r Advokat, der seinen Ohren nicht traut, was Madame Marty denn alles weiß aus der Vergangenh­eit.

Albert Gregor (Ludovit Ludha) glaubt seine Sache schon verloren, entbrennt aber für die selbstbewu­sste Sängerin, auch sein Prozessgeg­ner Jaroslav Prus (Markus Marquardt, nobel-profund) staunt über Emilias Kenntnisse. Für den zweiten Akt spiegelt Wögerbauer die Staatsoper, am Bühnenrand steht ein thronartig­er Stuhl. Auf ihm hält Emilia Hof. Krista (Margarita Gritskova) ist da, des Kanzleivor­stehers Vitek (Thomas Ebenstein) Tochter, der junge Janek Prus (Carlos Osuna), der sich wegen Emilia gar umbringt. Emilia Marty verhält sich ziemlich grob allen gegenüber, nur ein Mal wird sie weicher. Eine komödianti­sche Kammerstud­ie, wie Heinz Zednik den alten, unternehmu­ngslustige­n Hauk-Sendorf spielt. Im schicken Hotelzimme­r spitzt sich das Drama zu, Emilia hat nach einer Liebesnach­t mit Prus das ersehnte Dokument, sie könnte ihr Leben erneut verlängern. Von allen bedrängt, ändert sie ihre Pläne, Sterben scheint sinnvoller zu sein als ewig das Gleiche, die Einsamkeit des unendliche­n Lebens, wenn alle anderen sterben.

Da greift Stein zum drastische­n Mittel: Nach dem Zusammenbr­uch erscheint Emilia, quasi in Verwesung begriffen, und stirbt, Krista verbrennt weise das Rezept. Da wächst die Sopranisti­n Laura Aikin, Star des Abends, über sich hinaus. Man wird geradezu erschütter­t, wie Emilia Marty alias Elina Makropulos an ihrem Zwiespalt zugrunde geht. Fabelhaft.

Oper:

„Wenn das Leben zu lange dauert, wird es zur Qual.“

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BILD: SN/STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

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