Als die Sozialversicherung die Nation spaltete
Der Hauptverband erhält heute eine neue Chefin. Egal? Nein. Noch vor 15 Jahren hätte das große Aufregung ausgelöst.
Still und leise geht heute, Dienstag, im Kammerstaat Österreich eine Personalie über die Bretter. Die oberösterreichische Unternehmerin und Wirtschaftskämmerin Ulrike Rabmer-Koller löst Peter McDonald als Vorstandsvorsitzende des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ab. McDonald ist inzwischen ÖVP-Generalsekretär geworden. Die Welt dreht sich weiter. Der Hauptverband sorgt nicht für Schlagzeilen.
Vor knapp 15 Jahren war das ganz anders. Am 21. Jänner 2001, rund ein Jahr nach Antritt der ÖVP-FPÖRegierung, nutzte die freiheitliche Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer ein Neujahrstreffen ihrer Partei zu einer politischen Kriegserklärung gegen den Hauptverband; beziehungsweise gegen den damaligen Chef des Verbandes, Hans Sallmutter, der als Sozialdemokrat und mitunter polternder Gewerkschafter zu den Feindbildern der damaligen Regierungskoalition zählte.
Riess-Passer gab den roten Sozialpartnerfunktionär zum Abschuss frei: „Solche Leute brauchen wir nicht, wir brauchen Fachleute und Experten“, wetterte sie. Es war eine reine Machtfrage.
Der Hauptverband ist die Dachorganisation aller Sozialversicherungsträger, von der großen Wiener Gebietskrankenkasse über die Unfallund die Pensionsversicherungsanstalt bis hin zur Betriebskrankenkasse der voestalpine bahnsysteme. Als solcher ist der Hauptverband ein wesentlicher Faktor im Sozialgefüge.
Mit dem Halali auf Sallmutter löste Riess-Passer nicht nur einen tiefen Konflikt mit der Sozialdemokratie aus, sie handelte sich auch negative Schlagzeilen ein. Denn anders als angekündigt versuchte die FPÖ keineswegs, „Fachleute und Experten“an die Spitze der Sozialversicherung zu holen.
Sondern unter anderem den freiheitlichen Sozialsprecher Reinhart Gaugg, der vordem lediglich als launiger Nazibuchstabierer („Neu – attraktiv – zielstrebig – ideenreich“) in Erscheinung getreten war. Gaugg landete letztlich nicht in einem Chefsessel der Sozialversicherung, sondern alkoholisiert in einer Verkehrskontrolle.
Damit war seine Karriere beendet. Die schwarz-blaue Koalition musste eigens eine gesetzliche Reform des Hauptverbandes zimmern, um Sallmutter wegzubekommen.
Das Verhältnis zwischen Regierung und Gewerkschaft war auf einem Tiefpunkt angelangt. Und Gaugg verwickelte seine Partei in einen Prozess um angeblich vereinbarte Abschlagszahlungen.
Die Struktur des Hauptverbandes ist übrigens ein Abbild des heimischen Kammerstaats. Dem Vorstand gehören 15 Mitglieder an, die nach strengstem Proporz vergeben werden: Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund, Landwirtschaftskammern und diverse Vorfeldorganisationen von Parteien dürfen ihre Vertreter entsenden. Den Chef (ab morgen: die Chefin) stellt die Wirtschaft.
Daneben gibt es als kontrollierendes Organ eine Trägerkonferenz, deren 37 Vertreter von den Sozialversicherungen entsandt werden.
Den Vorsitz führt – Proporz muss sein – eine Gewerkschafterin. Schließlich gibt es einen 18-köpfigen Beirat, der von Ministerien und Krankenkassen beschickt wird.