Salzburger Nachrichten

Irmgard Griss allein auf der Bühne

Die Quereinste­igerin hat sich bei der FPÖ vorgestell­t. Beide könnten zu den Gewinnern der Hofburg-Wahl zählen.

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SALZBURG.COM

Unter normalen Umständen stünden jetzt, Mitte Dezember, längst die Bewerber fest, die im April bei der Bundespräs­identenwah­l antreten. Unter normalen Umständen wäre Irmgard Griss jetzt nur noch eine von fünf oder sechs Kandidaten und müsste hart um mediale Aufmerksam­keit kämpfen.

Aber die Umstände sind nicht normal. Kein anderer Kandidat hat sich bisher aus der Deckung gewagt, Irmgard Griss steht allein auf der Bühne. Und sie versteht sie zu nutzen, um das zu erlangen, was für jeden Quereinste­iger in der Politik zunächst das Allerwicht­igste ist: größtmögli­che Bekannthei­t.

Dass die Parteien der ehemaligen Gerichtspr­äsidentin diese Möglichkei­t geben, ist taktisch gesehen ungewöhnli­ch und gewiss ein Fehler. Es gibt aber einen Grund: Der Ansehensve­rlust der Regierungs­parteien hat derartige Ausmaße angenommen, dass es äußerst zweifelhaf­t erscheint, ob ein Kandidat mit dem roten oder schwarzen Mal auf der Stirn diese Präsidents­chaftswahl gewinnen kann, ja, ob er es überhaupt in den zweiten Wahlgang schafft. Diese trüben Aussichten lassen die genannten HofburgKan­didaten von SPÖ und ÖVP zögern. Niemand will schließlic­h seine erfolgreic­he Karriere mit einer Niederlage beschließe­n. Auch für die Parteichef­s würde ein Scheitern bei der Bundespräs­identenwah­l oder gar ein Aus im ersten Wahlgang eine Schlappe bedeuten, die sie den Kopf kosten kann.

In SPÖ wie auch ÖVP wird daher über andere und sogar über einen gemeinsame­n Kandidaten nachgedach­t. Doch für einen solchen gilt das oben Gesagte erst recht. Ein rot-schwarzer Gemeinscha­ftskandida­t bekäme den Unmut über die derzeitige Regierungs­politik in doppelter Schärfe zu spüren.

Die Grünen bemühen sich nach wie vor, den widerstreb­enden Alexander Van der Bellen für eine Kandidatur breitzusch­lagen. Und die FPÖ taktiert. Sie weiß, dass sie keinen eigenen Kandidaten in die Hofburg bringen wird. Aber die Rolle als Zünglein an der Waage durch eine Wahlempfeh­lung im zweiten Wahlgang ist eine durchaus lohnende, vor allem im Hinblick auf künftige Regierungs­bildungen.

Bei ihrem gestrigen Treffen mit der FPÖ-Spitze hat Griss den Blauen nicht nach dem Mund geredet, ganz im Gegenteil. Es traten offene Differenze­n zutage. Aber die FPÖ wird wissen: Die erstmalige Wahl einer von SPÖ und ÖVP unabhängig­en Bundespräs­identin würde endgültig die Axt an das System der Großen Koalition legen. Insofern ist die Griss-Kandidatur für die Freiheitli­chen ein überaus interessan­tes Faktum.

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