Irmgard Griss allein auf der Bühne
Die Quereinsteigerin hat sich bei der FPÖ vorgestellt. Beide könnten zu den Gewinnern der Hofburg-Wahl zählen.
Unter normalen Umständen stünden jetzt, Mitte Dezember, längst die Bewerber fest, die im April bei der Bundespräsidentenwahl antreten. Unter normalen Umständen wäre Irmgard Griss jetzt nur noch eine von fünf oder sechs Kandidaten und müsste hart um mediale Aufmerksamkeit kämpfen.
Aber die Umstände sind nicht normal. Kein anderer Kandidat hat sich bisher aus der Deckung gewagt, Irmgard Griss steht allein auf der Bühne. Und sie versteht sie zu nutzen, um das zu erlangen, was für jeden Quereinsteiger in der Politik zunächst das Allerwichtigste ist: größtmögliche Bekanntheit.
Dass die Parteien der ehemaligen Gerichtspräsidentin diese Möglichkeit geben, ist taktisch gesehen ungewöhnlich und gewiss ein Fehler. Es gibt aber einen Grund: Der Ansehensverlust der Regierungsparteien hat derartige Ausmaße angenommen, dass es äußerst zweifelhaft erscheint, ob ein Kandidat mit dem roten oder schwarzen Mal auf der Stirn diese Präsidentschaftswahl gewinnen kann, ja, ob er es überhaupt in den zweiten Wahlgang schafft. Diese trüben Aussichten lassen die genannten HofburgKandidaten von SPÖ und ÖVP zögern. Niemand will schließlich seine erfolgreiche Karriere mit einer Niederlage beschließen. Auch für die Parteichefs würde ein Scheitern bei der Bundespräsidentenwahl oder gar ein Aus im ersten Wahlgang eine Schlappe bedeuten, die sie den Kopf kosten kann.
In SPÖ wie auch ÖVP wird daher über andere und sogar über einen gemeinsamen Kandidaten nachgedacht. Doch für einen solchen gilt das oben Gesagte erst recht. Ein rot-schwarzer Gemeinschaftskandidat bekäme den Unmut über die derzeitige Regierungspolitik in doppelter Schärfe zu spüren.
Die Grünen bemühen sich nach wie vor, den widerstrebenden Alexander Van der Bellen für eine Kandidatur breitzuschlagen. Und die FPÖ taktiert. Sie weiß, dass sie keinen eigenen Kandidaten in die Hofburg bringen wird. Aber die Rolle als Zünglein an der Waage durch eine Wahlempfehlung im zweiten Wahlgang ist eine durchaus lohnende, vor allem im Hinblick auf künftige Regierungsbildungen.
Bei ihrem gestrigen Treffen mit der FPÖ-Spitze hat Griss den Blauen nicht nach dem Mund geredet, ganz im Gegenteil. Es traten offene Differenzen zutage. Aber die FPÖ wird wissen: Die erstmalige Wahl einer von SPÖ und ÖVP unabhängigen Bundespräsidentin würde endgültig die Axt an das System der Großen Koalition legen. Insofern ist die Griss-Kandidatur für die Freiheitlichen ein überaus interessantes Faktum.