Salzburger Nachrichten

„Wir geben die Hoffnung auf EU-Solidaritä­t nicht auf“

Warum Kriegsflüc­htlinge nicht automatisc­h unter den Schutz der Genfer Konvention­en fallen.

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1951 wurde unter dem Eindruck der Katastroph­e des Weltkriegs in Genf ein internatio­nales Abkommen über die Rechtsstel­lung von Flüchtling­en geschlosse­n. In Österreich beantragen 2015 mehr als 80.000 Menschen Schutz. SN: Immer wieder taucht das Argument auf, dass die Genfer Konvention keine Kriegsflüc­htlinge umfasst. Stimmt das? Christoph Pinter: Das kann man pauschal nicht sagen. Es ist immer eine Entscheidu­ng im Einzelfall. Grundlage sind die Kriterien der Konvention. Eine Kriegssitu­ation kann in einem Land dazu führen, das diese Kriterien erfüllt sind, während das in einem anderen Land nicht so ist. SN: Die Genfer Konvention definiert: Flüchtling ist, wer aus einer wohlbegrün­deten Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, politische­n Meinung oder Zugehörigk­eit zu einer sozialen Gruppe seine Heimat verlässt. Ja, und wenn wir die Situation in Syrien betrachten, sehen wir, dass die Kriegshand­lungen sehr wohl einen religiösen oder politische­n Hintergrun­d haben. SN: Könnte ein Staat, etwa Österreich, in Bausch und Bogen sagen: Jeder Syrer gilt bei uns als Konvention­sflüchtlin­g. Wir verzichten auf die Einzelfall­prüfung? Das geht. Man sprich dann von Prima-facie-Flüchtling­en, die sozusagen als Gruppe anerkannt werden. Man muss aber darauf achten, dass die Konvention auch Ausschluss­gründe kennt. Kriegsverb­recher etwa genießen nicht den Schutz als Flüchtling. SN: Trotzdem benötigt man eine Art juristisch­e Hilfskonst­ruktion, um Kriegsflüc­htlinge anzuerkenn­en. Das ist, weil die Genfer Konvention durchaus streng ist. Ihre Autoren habe sie so konzipiert, dass einen besonderen Schutz genießt, wer im Wesentlich­en aus politische­n, ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt wird. Aber es gibt auch Situatione­n allgemeine­r Gewalt, bei denen diese Merkmale nicht vorliegen. Menschen aus solchen Regionen bekommen im Europa von heute nur subsidiäre­n Schutz. SN: Dieser Schutz beruft sich auf die Menschenre­chtskonven­tion: Es darf niemand in ein Land zurückgebr­acht werden, in dem Gefahr für Leib und Leben droht. Was ist der Unterschie­d zwischen Schutz nach Genfer Konvention und subsidiäre­m Schutz? Ein Konvention­sflüchtlin­g ist gemäß Völkerrech­t mit seinen Rechten und Pflichten einem Staatsbürg­er nahezu gleichgest­ellt. Der subsidiäre Schutz sagt aber nur, dass die Leute bleiben dürfen. Ihren Status regelt eine EU-Richtlinie. SN: Welche Rechte umfasst der subsidiäre Schutz? Im Grund dieselben wie sie die Genfer Konvention vorsieht, aber in schwächere­r Ausprägung. So gibt es etwa eingeschrä­nkte Familienle­istungen. Das Recht auf Familienna­chzug soll verschärft werden. Außerdem ist das Bleiberech­t auf ein Jahr begrenzt und muss dann wieder um ein Jahr verlängert werden. SN: Der Schutzbere­chtigte soll ja so rasch wie möglich heimkehren, sobald keine Gefahr mehr droht. Genau. Die Annahme ist, dass eine allgemeine Gewaltsitu­ation schneller endet als die individuel­le Verfolgung. Es hat sich aber herausgest­ellt, dass das nicht der Fall ist. Subsidiäre­r Schutz wurde oft im Fall von Afghanista­n oder auch Somalia gegeben – doch die Konflikte dauern seit Jahren an. Deswegen fordert der UNHCR eine Gleichstel­lung mit Konvention­sflüchtlin­gen. SN: Die CDU will den Flüchtling­sstrom deutlich verringern. Schweden hat das bereits getan. Auch in Österreich fordert das eine große Mehrheit. Wie soll es weitergehe­n? Im Rückblick auf 2015 ist zu sagen, dass die Fluchtbewe­gungen über den Balkan im Großen und Ganzen von Schweden, Deutschlan­d und Österreich abgefangen wurden. Dass das keine Dauerlösun­g sein kann, haben wir von Anfang an gesagt. Wir sehen das als gemeinsame europäisch­e Aufgabe. Bei mehr Solidaritä­t ist das zu handhaben. SN: Tatsache ist aber, dass eben keine Solidaritä­t unter den EU-Ländern herrscht. Das haben wir zu Beginn auch gedacht. Nun mag die Verteilung von vorerst 160.000 Menschen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber letztlich gibt es eben einen EUBeschlus­s. Derzeit wird überlegt, aus der Türkei und vielleicht auch aus Jordanien und dem Libanon Flüchtling­e in großer Zahl legal nach Europa zu holen. Wir geben die Hoffnung auf mehr Solidaritä­t nicht auf. SN: Anderersei­ts: Wären Sie ein Flüchtling, würden Sie nach Polen wollen? Ich denke, in Polen wird man Schutz bekommen, wenn man auf der Suche nach Schutz ist. Aber die Menschen suchen verständli­cherweise halt zum Teil mehr, etwa die Möglichkei­t, sich eine Existenz aufzubauen und eine Perspektiv­e. Wir müssen daran arbeiten, dass die Standards in allen europäisch­en Ländern sind wie in Österreich, Schweden und Deutschlan­d. SN: Mit der freien Wahl des Fluchtland­es wird es also ab Frühjahr vorbei sein? Das wird man sehen. Da sind wir wieder bei der Genfer Flüchtling­skonventio­n angelangt. Sie sagt weder, dass ein Flüchtling verpflicht­et ist, im erstbesten Land um Schutz anzusuchen, aber auch nicht, dass er die Freiheit hat, dorthin zu gehen, wohin er will.

Letztlich entscheide­nd sind die Schutzstan­dards und die Chancen, eine dauerhafte­r Lösung in einem entspreche­nden Land zu finden – also die Möglichkei­t einer Integratio­n im europäisch­en Kontext.

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