Großer Bahnhof mit Tücken
Salzburg-Hauptbahnhof–Wien-Flughafen Schwechat: Diese Strecke fahren ÖBB-Züge ab sofort ohne Umsteigen. Ein Lokalaugenschein von der neuen Drehscheibe im öffentlichen Verkehr.
Ratlose Blicke auf die elektronischen Anzeigetafeln und Zugreisende, die über geänderte Fahrzeiten den Kopf schütteln. Dieses Bild bietet sich in diesen Tagen am Wiener Hauptbahnhof, der seit Sonntagabend Drehscheibe im öffentlichen Verkehr ist. Denn ÖBB-Fernverkehrszüge aus dem Westen (Salzburg, Deutschland, Schweiz), die bislang am Westbahnhof ankamen, fahren jetzt über den Hauptbahnhof und weiter zum Flughafen Wien-Schwechat.
Verbunden damit ist eine Umstellung des Fahrplans für alle Bahngäste, auch für Berufspendler im Umkreis von Wien. „Wir zahlen drauf, die Abfahrtszeiten haben sich völlig geändert. Das war schon in der Früh ein Wahnsinn. Alle Kurzzüge waren gesteckt voll“, schimpft eine Niederösterreicherin aus Bruck an der Leitha, die bei Casinos Austria im Etagenservice arbeitet. Ein 84-jähriger pensionierter Eisenbahner aus Tirol, der die Heimreise Richtung Wörgl antreten möchte, meint: „Der neue Bahnhof ist wunderbar, aber man kennt sich nicht aus.“Die ÖBB-Servicekräfte, erkennbar an ihren orangen Leuchtjacken, haben alle Hände voll zu tun.
Ein 40-jähriger Unternehmensberater aus der Stadt Salzburg, der ein Mal wöchentlich nach Wien reist, hält den Hauptbahnhof für unglücklich geplant. „Die Gehstrecke bis zur U-Bahn ist weit. Der Bahnhof ist sicher nicht für ältere Personen ausgelegt“, sagt der Salzburger. Unglücklicherweise seien die verschiedenen Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, U-Bahn und ÖBB-Züge nicht miteinander verknüpft worden.
Der gebürtige Pinzgauer Peter Wolfsgruber, der jetzt in Vorarlberg lebt, ist grundsätzlich vom ÖBBVorzeigebahnhof angetan. „Die Atmosphäre ist fast wie am Flughafen – eine großzügige Flaniermeile und ein Loungebereich“, sagt er. Aber auch Wolfsgruber hat etwas auszusetzen. Der Bahnhof sei derart breit angelegt, dass man als klassischer Impulskäufer wie er wegen der Überbreite der Halle an den Geschäften vorbeilaufe. „Obwohl starke Markengeschäfte vertreten sind, findet man nur wenige Kunden darin“, sagt Wolfsgruber.
Trotz weihnachtlicher Neonbeleuchtung in der Empfangshalle und der klassischen Musikberieselung zu dieser Zeit verirren sich nur wenige Bahnfahrer während der Wartezeit in die Schuh- und Textilboutiquen. „Der Umsatz war heute schon höher als zuletzt. Aber markant mehr ist das Geschäft nicht geworden“, sagt die Verkäuferin beim Kaffeeröster Tchibo. Beim Buchhändler Thalia hat sich eine kleine Schlange an der Kassa gebildet, Reisende decken sich für die Fahrt mit Zeitungen und Magazinen ein. Und die Verkäuferin im Print-Shop, wo sich Kunden diverse Motive auf ihre T-Shirts drucken lassen, bilanziert zufrieden: „Heute war ein richtig starker Tag – wahrscheinlich wegen Weihnachten.“
Dass sie in einem völlig anderen Stadtteil und nicht mehr am Westbahnhof eintreffen, stört die Fernreisenden nicht. Im Gegenteil. Es sei nur eine Gewohnheitsfrage, man werde sich schnell umstellen. „Und dass man ab sofort zum Flughafen durchfahren kann, ist toll“, sagen die Fernreisenden unisono.
Bei den Bundesbahnen will man von Anlaufschwierigkeiten nichts wissen. „Die Fahrplanumstellung ist komplett nach Plan verlaufen. Fast alle Züge waren pünktlich unterwegs und die Kunden fanden sich gut zurecht“, sagt ein ÖBBSprecher gegenüber der APA.
Für den Westbahnhof brechen neue Zeiten an. Dieser wird bis Salzburg nur mehr von der privaten Westbahn angesteuert, für die ÖBB fungiert der Terminal nur mehr als Haltestelle für den Regionalverkehr bis St. Pölten. 180 ÖBB-Züge fahren künftig den Westbahnhof an, um ein Drittel weniger als bisher. Die Geschäftsbetreiber dort befürchten massive Umsatzeinbußen.
„Die Atmosphäre ist fast wie am Flughafen – mit Lounge und Flaniermeile.“