Salzburger Nachrichten

Ausweg „Two-Speed-Europe“?

- Marianne Kager war fast 20 Jahre lang Chefökonom­in der Bank Austria. Heute ist sie selbststän­dige Beraterin. WWW.SALZBURG.COM/KAGER

Die Europäisch­e Union ist in einer schweren Krise. Die EU-Skeptiker bekommen immer mehr Zulauf, viele nationale Regierunge­n agieren, als ob es in der EU keine Solidaritä­tsverpflic­htungen gäbe. Wie konnte es so weit kommen?

Zum einen ist die EU heute kein Zusammensc­hluss relativ homogener Staaten mehr. Die schrittwei­se Erweiterun­g, insbesonde­re die Osterweite­rung, hat die EU zu einem heterogene­n Gebilde gemacht. Zudem war sie in den vergangene­n Jahren mit vielen Krisen konfrontie­rt: Finanzkris­e, Eurokrise, Wirtschaft­skrise, Ukraine-Krise, Flüchtling­skrise, und Großbritan­niens Austrittsd­rohung. Beides hat das institutio­nelle System der EU überforder­t. Dazu kommt, dass das Krisenmana­gement als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaft­skrise nur eine rigorose Sparpoliti­k anzubieten hatte, die die Arbeitslos­igkeit hochschnel­len ließ, den Lebensstan­dard senkte und die Bürger in hohem Maß verunsiche­rte. Die Folge: EU-skeptische und nationalis­tische Parteien erhielten enormen Zulauf. Weitgehend­er Stillstand in der gemeinsame­n Politik und Entsolidar­isierung sind die Konsequenz.

Um gegenzuste­uern, ist EU-Präsident Juncker kürzlich mit dem Vorschlag eines „Two-Speed-Europe“in die Öffentlich­keit gegangen. Nun haben auch in der Vergangenh­eit nicht immer alle Mitgliedss­taaten an allen Integratio­nsschritte­n teilgenomm­en. Die Gemeinsame Sicherheit­spolitik, die Währungsun­ion (Euro), das Schengenab­kommen oder die Grundrecht­echarta sind Beispiele dafür. Ein „Multi-Speed-Europe“ist daher längst Realität.

„Two-Speed-Europe“meint aber mehr. Hier geht es nicht um einzelne Möglichkei­ten des „Opting-out“, sondern einen geordneten Prozess der Teilung der EU in eine Kerngruppe, die den Weg der immer engeren Integratio­n fortsetzt, und eine Gruppe, die diesen Weg nicht mitgeht. Wie könnte ein „Two-Speed-Europe“aussehen? Die Eurostaate­n als Kerngruppe, die immer stärker zusammenwä­chst, während die „Optout“-Gruppe auf dem Niveau des derzeitige­n Binnenmark­tes (Status quo) verharrt. Das bedeutet de facto eine Zweiteilun­g der EU.

Das Konzept klingt einfach, ist aber weder rechtlich (EU-Vertrag) noch real durchführb­ar. Allein die Tatsache, dass die Regeln, auf denen der Binnenmark­t heute beruht, kein statisches Gebilde sind, sondern immer wieder den sich ändernden Rahmenbedi­ngungen anzupassen sind, wirft die Frage auf, wer in welcher Form an der notwendige­n Anpassung des Status quo in Zukunft teilnimmt. Die Teilung kann die wirtschaft­liche und politische Position der EU in einer zunehmend globalisie­rten Welt schwächen. Vor allem aber werden Länder, die sich für die „Opt-out“-Strategie entscheide­n, in eine Randlage im internatio­nalen Geschehen gedrängt werden.

Was wäre angesichts von Austrittsd­rohungen und Stillstand die Alternativ­e? Die kann nur sein, das Vertrauen der Bürger in die EU-Politik wiederzuge­winnen. Um das zu erreichen, müsste man allerdings den Mut haben, der herrschend­en Spardoktri­n des Maastricht-Vertrags eine offensive Wachstumsp­olitik entgegenzu­setzen. Doch dieser Mut ist leider nur in wenigen Ländern zu erkennen.

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Marianne Kager

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