Ausweg „Two-Speed-Europe“?
Die Europäische Union ist in einer schweren Krise. Die EU-Skeptiker bekommen immer mehr Zulauf, viele nationale Regierungen agieren, als ob es in der EU keine Solidaritätsverpflichtungen gäbe. Wie konnte es so weit kommen?
Zum einen ist die EU heute kein Zusammenschluss relativ homogener Staaten mehr. Die schrittweise Erweiterung, insbesondere die Osterweiterung, hat die EU zu einem heterogenen Gebilde gemacht. Zudem war sie in den vergangenen Jahren mit vielen Krisen konfrontiert: Finanzkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, Ukraine-Krise, Flüchtlingskrise, und Großbritanniens Austrittsdrohung. Beides hat das institutionelle System der EU überfordert. Dazu kommt, dass das Krisenmanagement als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise nur eine rigorose Sparpolitik anzubieten hatte, die die Arbeitslosigkeit hochschnellen ließ, den Lebensstandard senkte und die Bürger in hohem Maß verunsicherte. Die Folge: EU-skeptische und nationalistische Parteien erhielten enormen Zulauf. Weitgehender Stillstand in der gemeinsamen Politik und Entsolidarisierung sind die Konsequenz.
Um gegenzusteuern, ist EU-Präsident Juncker kürzlich mit dem Vorschlag eines „Two-Speed-Europe“in die Öffentlichkeit gegangen. Nun haben auch in der Vergangenheit nicht immer alle Mitgliedsstaaten an allen Integrationsschritten teilgenommen. Die Gemeinsame Sicherheitspolitik, die Währungsunion (Euro), das Schengenabkommen oder die Grundrechtecharta sind Beispiele dafür. Ein „Multi-Speed-Europe“ist daher längst Realität.
„Two-Speed-Europe“meint aber mehr. Hier geht es nicht um einzelne Möglichkeiten des „Opting-out“, sondern einen geordneten Prozess der Teilung der EU in eine Kerngruppe, die den Weg der immer engeren Integration fortsetzt, und eine Gruppe, die diesen Weg nicht mitgeht. Wie könnte ein „Two-Speed-Europe“aussehen? Die Eurostaaten als Kerngruppe, die immer stärker zusammenwächst, während die „Optout“-Gruppe auf dem Niveau des derzeitigen Binnenmarktes (Status quo) verharrt. Das bedeutet de facto eine Zweiteilung der EU.
Das Konzept klingt einfach, ist aber weder rechtlich (EU-Vertrag) noch real durchführbar. Allein die Tatsache, dass die Regeln, auf denen der Binnenmarkt heute beruht, kein statisches Gebilde sind, sondern immer wieder den sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen sind, wirft die Frage auf, wer in welcher Form an der notwendigen Anpassung des Status quo in Zukunft teilnimmt. Die Teilung kann die wirtschaftliche und politische Position der EU in einer zunehmend globalisierten Welt schwächen. Vor allem aber werden Länder, die sich für die „Opt-out“-Strategie entscheiden, in eine Randlage im internationalen Geschehen gedrängt werden.
Was wäre angesichts von Austrittsdrohungen und Stillstand die Alternative? Die kann nur sein, das Vertrauen der Bürger in die EU-Politik wiederzugewinnen. Um das zu erreichen, müsste man allerdings den Mut haben, der herrschenden Spardoktrin des Maastricht-Vertrags eine offensive Wachstumspolitik entgegenzusetzen. Doch dieser Mut ist leider nur in wenigen Ländern zu erkennen.