„Glaubst du, ich weiß nicht, wer das Christkind ist?“
Der Tochter glaubt noch an das Christkind, der Sohn nicht mehr. Und die Eltern geraten immer häufiger in akute Erklärungsnot.
Sohn und Tochter sitzen einträchtig am Esstisch und schreiben emsig am Brief an das Christkind. Der Teller mit den Keksen steht bereit, auf dass das Christkind sich beim anstrengenden Flug von Wunschzettel zu Wunschzettel ein bisschen stärken kann. „Und wo kommen die Kekse wirklich hin?“, will der Zehnjährige plötzlich aus dem Nichts wissen. Die Fünfjährige spitzt die Ohren, der Mama wird warm und kalt zugleich. „Die holt sich natürlich das Christkind“, antwortet sie und erntet dafür einen abschätzigen Blick vom Sohn. Doch der gibt fürs Erste Ruhe und schreibt weiter seine Wünsche auf.
Mediziner haben herausgefunden, dass Kinder im Durchschnitt bis zum sechsten Lebensjahr an das Christkind glauben, genauso an Geister, Wichtel, den Nikolaus oder irgendwelche andere sagenhafte Gestalten. Doch irgendwann ist Schluss und dann müssen Eltern Farbe bekennen und dem Kind Rede und Antwort stehen. Diesem Gespräch scheint der Sohn noch aus dem Weg zu gehen. Auch wenn seine Blicke Bände sprechen, so erwähnte er die wahre Identität des Christkinds bisher mit keinem Wort. Ob seiner kleinen Schwester zuliebe oder weil er noch ein bisschen länger in der Zauberwelt der Weihnacht schwelgen möchte, ist unbekannt.
Denn die Geschichten, die wir unseren Kindern in den ersten Lebensjahren „aufbinden“, haben durchaus ihren Sinn. Das Christkind und auch der Nikolaus stehen für das Gute, sind Symbol für alles Schöne, Reine und Beschützende, vielleicht auch Tröstliche. Sie stärken in unseren Kindern den Glauben an eine positive Macht, die ihnen in harten Zeiten durchaus eine Stütze sein kann.
Nach 30 Minuten herrlicher Ruhe sind die Kinder mit dem Brief an das Christkind fertig. Die Tochter stellt den Keksteller auf die Fensterbank, der Sohn läuft noch schnell in die Küche und kommt mit einem Glas Milch zurück. „Schließlich wird man bei der Arbeit nicht nur hungrig, sondern auch durstig“, sagt er und stellt das Glas neben den Teller. „Schließlich weiß ich Bescheid. Oder glaubst du, ich weiß nicht, wer das Christkind ist?“