Salzburger Nachrichten

Eine Armee in Armut

Die Politik gewährt dem Bundesheer nicht einmal die finanziell­e Mindestsic­herung. Die Folge: Dem Heer laufen die Soldaten davon.

- P. Schrottwie­ser, Personalve­rtreter

WIEN. Sogar der Bundespräs­ident wundert sich. Warum, so fragte er kürzlich bei der Weihnachts­feier der Garde, bekommt nur das Innenminis­terium mehr Geld für die Terrorabwe­hr und die Bewältigun­g der Asylkrise, das Verteidigu­ngsministe­rium aber nicht?

Tatsächlic­h hat Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wegen der aktuellen Herausford­erungen dreistelli­ge Millionenb­eträge und 1000 Dienstpost­en zusätzlich für ihr Ressort herausgeho­lt, während Verteidigu­ngsministe­r Gerald Klug (SPÖ) trotz ausdrückli­cher Aufforderu­ng des Parlaments nichts dergleiche­n versucht.

Einstimmig (also sogar mit den Stimmen der Grünen) hat der Nationalra­t beschlosse­n, dass Klug angesichts von Terror, Ukraine-Konflikt und Migrantens­trömen sein zu Jahresbegi­nn geschnürte­s Sparpaket überdenken soll. Diese überrasche­nde Einladung des Parlaments, ein höheres Verteidigu­ngsbudget zu verlangen, ist mittlerwei­le einen Monat alt. Was hat Klug getan? Nichts. Jeder andere Minister hätte längst seine Forderunge­n auf den Tisch geknallt, Klug nicht. Er lässt den Generalsta­b seit Wochen ein Papier ausarbeite­n.

Dabei pfeift das Bundesheer längst aus dem letzten Loch. Der kleine Asyleinsat­z an der Grenze hat das Heer an den Rand seiner Kapazitäte­n gebracht. Die eingesetzt­en Soldaten sind wesentlich schlechter ausgerüste­t als ihre Kollegen von der Polizei. Stichschut­zwesten, wie sie die Exekutive für den Umgang mit den meist mit Messern ausgestatt­eten Migranten hat, müssen sich die Soldaten privat kaufen. Einzelne Ausrüstung­sgegenstän­de wie Sicherheit­shalterung­en für die Pistolen müssen bei jeder Ablöse von Soldat zu Soldat weitergege­ben werden, weil zu wenige davon vorhanden sind. Auch die Mobilitäts­krise bekommen die Soldaten an der Grenze zu spüren. Seit Jahren ist kein Geld für Fahrzeugre­paraturen vorhanden, der Sprit muss rationiert werden.

Früher konnten 10.000 Mann für den Katastroph­eneinsatz abgestellt werden, jetzt sind schon die 1600 Mann im Grenzeinsa­tz ein Problem. „Dieser Einsatz geht an die Substanz“, bestätigt der oberste Personalve­rtreter des Bundesheer­es, Oberst Peter Schrottwie­ser. „Ein Hochwasser wie 2002 dürfte jetzt nicht passieren.“

Schrottwie­ser fordert deshalb dringend einen Stopp des laufenden harten Sparkurses. Obwohl schon jetzt 70 Millionen Euro pro Jahr fehlen, um den normalen Dienstbetr­ieb aufrechtzu­erhalten, soll das Heer nun bis 2018 weitere 200 Millionen Euro einsparen.

Der Effekt? „Die Stimmung im Heer ist besch. . .“, sagt Schrottwie­ser. Eine Kaderbefra­gung, deren Ergebnisse von der Ressortfüh­rung unter Verschluss gehalten werden, habe ergeben, dass 85 Prozent der Kader-, also Berufssold­aten nicht mehr bereit sind, Nachwuchs für das Heer anzuwerben. Und so sieht die Lage in den Kasernen auch aus. Es fehlen Hunderte Unteroffiz­iere, sodass die Ausbildung der Rekruten ausgedünnt werden muss. Ein Ausbildner hat nun 20 bis 30 Grundwehrd­iener unter sich, früher waren es acht. Eine Attraktivi­erung des Wehrdienst­es, wie sie nach der Volksbefra­gung 2013 versproche­n wurde, sehe anders aus, merkte dazu kürzlich der Präsident der Offiziersg­esellschaf­t, Erich Cibulka, an. Seiner Einschätzu­ng nach kann das Bundesheer aufgrund des jahrelange­n Sparkurses wesentlich­e Aufgaben nicht mehr erfüllen.

Auch Personalve­rtreter Schrottwie­ser sieht das Bundesheer in einer existenzie­llen Krise: „Es will niemand mehr zu uns kommen“, sagt er. „Und die, die da sind, befinden sich auf dem Absprung.“Angebote aus der Exekutive stießen beim Kaderperso­nal des Bundesheer­es auf größtes Interesse. Innenminis­terin Mikl-Leitner könne die 1000 zusätzlich­en Dienstpost­en, die sie herausgeho­lt habe, nun mit jungen, gut ausgebilde­ten Bundesheer­soldaten besetzen. „Man kann es den Leuten nicht einmal verdenken“, sagt Schrottwie­ser. Bezahlung, Ausrüstung und öffentlich­es Ansehen seien bei der Exekutive besser. Das Bundesheer sei kein attraktive­r Arbeitgebe­r mehr.

Daran, dass das auch so bleibt, wird offenbar eifrig gearbeitet. Durch eine Dienstgrad­reform will Klug ab Jänner die Zahl der Brigadiere, Obersten und Vizeleutna­nts drastisch senken. Einsparung­en sind damit keine verbunden, aber es frustriert die Betroffene­n.

Die Halbierung der Militärmus­ikkapellen bringt ebenfalls kaum Einsparung­en, hat aber – wie die SN bereits

„Die Stimmung im Bundesheer ist besch. . .“

berichtete­n – dazu geführt, dass sich kaum noch Rekruten zu den Rumpf-Kapellen melden. Offensicht­lich rechnen sie nicht mehr damit, dort eine gute musikalisc­he Ausbildung zu erhalten.

Generell ist die Zahl der Rekruten stark rückläufig. 2015 könnte (endgültige Zahlen liegen noch nicht vor) das erste Jahr sein, in dem sich mehr junge Männer zum Zivil- als zum Militärdie­nst gemeldet haben.

Kurz gesagt: Während andere europäisch­e Staaten ihre Landesvert­eidigung hochfahren, stirbt das Bundesheer. „Der Minister will das“, ist Schrottwie­ser überzeugt. „Er will gar nicht, dass es wieder aufwärts geht. Er will das Heer so weit herunterfa­hren, bis nur noch das Zusperren bleibt.“

Erkennbare­n Widerstand gegen diesen Kurs gibt es nicht. Dem einstimmig­en Beschluss des Nationalra­ts gegen das Heeres-Sparpaket sind bisher keine Taten gefolgt. Im Gegenteil. Die Grünen haben mittlerwei­le wieder erklärt, dass das Bundesheer gar nicht mehr, sondern weniger Geld brauche.

 ?? BILD: SN/APA/ERWIN SCHERIAU ?? Das Bundesheer im Grenzeinsa­tz in der Steiermark.
BILD: SN/APA/ERWIN SCHERIAU Das Bundesheer im Grenzeinsa­tz in der Steiermark.

Newspapers in German

Newspapers from Austria