Statt zwei Parteien künftig ein System mit vier Parteien
Eines steht schon vor der spannenden nationalen Parlamentswahl morgen, Sonntag, in Spanien fest: Es wird keinen politischen Rechtsruck geben. Rechtspopulistische Bewegungen, wie sie zum Beispiel in Frankreich, Italien, Österreich, in der Schweiz oder auch in Deutschland wachsen, existieren in Spanien nicht. Das ist eine gute Nachricht für Europa.
Dabei ist das Potenzial der frustrierten und unzufriedenen Wähler im Krisenland Spanien keineswegs geringer als in anderen Ländern: Die immer noch große Schulden- und Wirtschaftsmisere, Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut, harte Sparbeschlüsse und immer neue Korruptionsskandale haben eine vom politischen Establishment enttäuschte Gesellschaft hinterlassen.
Diese Misere hat auch große soziale Spannungen gerade in der jungen Generation erzeugt, in der sich wegen eines kaputtgesparten Bildungssystems und fehlender Jobchancen Frustration breitmachte. Das rechtfertigt allerdings keinesfalls Gewaltakte wie in dieser Woche den brutalen Faustangriff eines Jugendlichen auf den konservativen Regierungschef Mariano Rajoy.
Doch der Unmut über die in Spanien Regierenden ist so gewaltig, dass er gleich zwei Protestbewegungen hervorgebracht hat. Das sind Protestströmungen, die aber nicht rechts, sondern links von den regierenden Konservativen aufgeblüht sind. Der kometenhafte Aufstieg von Podemos („Wir können“), der linksalternativen Partei empörter Bürger, und der liberalen Plattform Ciudadanos („Bürger“) dürfte am Sonntag in Spanien nach Einschätzung vieler Beobachter für ein politisches Erdbeben sorgen.
Die beiden bisherigen Traditionsparteien, die regierenden Konservativen von Ministerpräsident Rajoy wie die sozialistische Opposition, steuern allem Anschein nach auf ein Debakel zu. Für den 60-jährigen Rajoy wird es eng werden, da er voraussichtlich keine tragfähige Mehrheit erringen wird. Das macht einen Linksruck und einen Machtwechsel möglich, bei dem die Protestparteien das Zünglein an der Waage sein dürften.
Für Spanien ist das Erstarken dieser neuen Bürgerbewegungen, die eine demokratische Erneuerung versprechen und von jungen, talentierten Nachwuchspolitikern angeführt werden, ein Segen: Sie geben nämlich der verzweifelten jungen Generation im Land endlich eine Stimme. Also jener Generation, die unter einer skandalösen Arbeitslosigkeit von nahezu 50 Prozent leidet und sich von der alteingesessenen politischen Oberschicht im Stich gelassen fühlt.
In den vergangenen Jahren hat sich im spanischen Königreich leider der traurige Eindruck festgesetzt, dass Konservative und Sozialisten, die wechselweise in Rathäusern und Parlamenten regierten, das Land wie einen Selbstbedienungsladen führen würden. Ermittlungen brachten tatsächlich Haarsträubendes an den Tag: Etwa eine Schwarzgeld- und Schmiergeldkasse bei den Konservativen, aus der Premier Rajoy und seine Vertrauten ihre Gehälter aufgebessert haben sollen; eine schwarze Kasse, aus der auch illegal Wahlkämpfe finanziert und Parteizentralen saniert worden sein sollen.
Das Wahlbeben, das sich in Spanien laut allen Indizien anbahnt, eröffnet nun die Chance auf politische Läuterung. Dies geschieht in einem Land, das eine neue politische Ehrlichkeit mindestens genauso dringend benötigt wie ökonomische Reformen, um Jobs und langfristige Zukunftsperspektiven zu schaffen.
Denn in Sachen Finanzen und Wirtschaft braucht Spanien, dessen Konjunkturmotor nach Jahren der Dauerkrise immerhin wieder angesprungen ist, ebenfalls neue Ideen und neuen Schwung – sonst könnte es bald in die nächste Krise rutschen.
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