Mexikaner halten Ampeln höchstens für dekorativ
Ab dem kommenden Jahr müssen Mexikaner den Führerschein machen. Zum Glück. Denn bisher kann jeder fahren, dessen Füße bis an die Pedale reichen.
Es gibt in Mexiko-Stadt geschätzt 30 Fahrschulen – für rund 22 Millionen Einwohner. Es ist noch immer eine Menge, wenn man bedenkt, dass eigentlich niemand in der zweitgrößten Stadt des Planeten ihre Dienste benötigt. Zumindest bisher nicht. „Fahren lernt man hier durch Zuschauen oder wenn dich ein Angehöriger oder ein Freund mal an das Lenkrad lässt“, erzählt Gerardo Gutiérrez, Leiter der Fahrschule Imperial. So aber sieht es dann leider auf den Straßen auch aus.
Fußgänger, Radfahrer und selbst Autofahrer sind in der Metropole echte Gefahrensucher. Auf den Straßen gilt das Recht des Stärkeren, und das bedeutet uneingeschränkt: das Recht des Autos. Fußgänger und Radfahrer gelten als störende Elemente. Abbiegende Autos bremsen nie, wenn ein Fußgänger die Straße quert. Und wer dennoch auf seinem Recht beharrt, der wird beschimpft oder – schlicht über den Haufen gefahren. Ohnehin fahren die Chilangos, die Hauptstadtbewohner, meist so, als wären sie auf dem Kirtag. Das tägliche Ringen der fast fünf Millionen Fahrzeuge auf den Schlaglochpisten gleicht einer Runde im Autodrom. Tarnen und Täuschen ist das Prinzip. So wird oft links geblinkt und rechts abgebogen.
Bis jetzt konnte sich jeder ans Lenkrad setzen, dessen Füße bis an die Pedale reichten. Eine der verkehrsreichsten Städte der Welt hatte bis diese Woche keine Führerscheinprüfung. Man ging einfach zum Bezirksamt und kaufte sich die Fahrerlaubnis. Kostete 704 Pesos, umgerechnet 37 Euro. Das war nicht immer so. Vor zwölf Jahren schaffte die Regierung von Mexiko-Stadt die Fahrprüfung einfach ab, um der Korruption keinen Vorschub mehr zu leisten. Denn von der obligatorischen Prüfung kauften sich die Antragsteller gern mit Bestechungsgeld frei. Ohne Prüfung kein Schmiergeld – eine bestechende mexikanische Logik. Aber niemand dachte an die Folgen für den Straßenverkehr. Daher ist mit dem Laisser-faire jetzt Schluss. Seit vergangenem Dienstag ist eine neue Straßenverkehrsordnung in Kraft, die Ordnung ins Chaos bringen soll. Die Führerscheinprüfung kehrt zurück: Theorie, Praxis, Sehtest – so wie es sich gehört – gilt jetzt auch für die Chilangos. Theoretisch. Aber man hört aus der zuständigen Behörde Secretaria de Movilidad, dass es noch am nötigen gesetzlichen Rahmen für die Prüfungen und am Budget fehlt. Daher lässt die Umsetzung der neuen Anforderungen noch ein wenig auf sich warten. Erst Anfang 2016 soll es so weit sein.
Allerdings gilt das Führerscheingebot nicht rückwirkend. Die Mehrheit der Hauptstadtbewohner würde derzeit ohnehin keine gängige Führerscheinprüfung bestehen. Sie glauben, der Warnblinker sei nur dazu da, um am TacoStand zu halten und die Straße zu versperren. Die Ampel gilt den meisten Verkehrsteilnehmern als farblich-dekoratives Element. Und wenn man die Mexis in ein Auto mit Gangschaltung setzt, wissen sie nicht, was sie mit dem dritten Pedal machen sollen. Und einparken? Kann keiner. Dafür gibt es die Parkplatzeinwinker, eine aufstrebende Berufssparte in Mexiko. Die Ahnungslosigkeit am Steuer hat dann auch ihren Preis. In Mexiko-Stadt sterben laut der Stadtregierung täglich statistisch drei Menschen im Straßenverkehr.