Ist unsere Welt schlecht oder gut?
Mit Leonard Bernsteins „Candide“profiliert sich München als Musicalmetropole.
Eine schöne Frage, nicht nur zu Weihnachten: Ist unsere Welt nun schlecht oder gut oder sogar die beste aller möglichen Welten? Der Philosoph Pangloss alias Voltaire stellt sie dem jungen Studenten Candide in Leonard Bernsteins selten gespielter Operette.
Für den Denker ist es klar: Natürlich stimmt auf Erden einfach alles, auch Kriege und Naturkatastrophen haben ihren Sinn. Candide hingegen kommt am Ende zu dem Schluss, die Welt sei weder böse noch gut, man müsse einfach leben und die Dinge so akzeptieren wie sie seien. Candides Angebetete Cunegonde stimmt ihm zu und die zwei widmen sich fortan der Obst- und Gemüsezucht im eigenen kleinen Garten. Zuvor durchlebten und durchlitten sie, begleitet von einer unüberschaubaren Anzahl weiterer Figuren, eher charmante Krisen sowie echte Tragödien. Cunegonde etwa musste sich prostituieren, schien eine Zeit lang sogar tot, Candide schlug sich unterdessen Soldat und Weltumsegler durch.
Regisseur und Choreograf Adam Cooper behält in München den Überblick und inszeniert ein knallbuntes, sinnliches Spektakel mit vielen Kostüm- und Szenenwechseln. Hauptspielort ist jedoch eine Art Manege, im Hintergrund sieht man eine riesige Weltkarte. Ein zischender Pfeil zeigt an, wohin die Reise als Nächstes geht. Das von Marco Comin temporeich, flüssig, aber auch punktgenau geleitete Orchester musiziert auf der Hinterbühne, leider müssen dadurch Musiker wie Sänger elektronisch verstärkt werden. Gideon Poppes Candide
als ist ein sanftmütiger Geselle, der eine schöne, ein wenig leichte Stimme besitzt. Dagegen ist die Cunegonde von Cornelia Zink Weltklasse. Wunderbare Liebesduette stehen neben backfischhaften Schluchz-Koloraturen und grimmigen Aggressionslauten, wenn man ihr etwa Schmuck wegnehmen möchte. Ein Phänomen ist auch Dagmar Hellberg als Old Lady, die mit herrlichen Dialektspäßen Akzente setzt.
Beim Lesen des Librettos gerät man in Verwirrung, doch Regisseur und Mitstreitern ist es gelungen, das Dickicht aus Handlungssträngen und Ideen zu lichten. Leonard Bernstein schuf eine ständig neue Details fokussierende Partitur, die vieles aus der Tradition ironisch verarbeitet und zudem zahlreiche Hits enthält. Man merkt, welches Gravitationszentrum Bernstein war und ist.
Nach der Pause gibt es ein paar Ermüdungserscheinungen, weil man nun schon zu viele bunte Kostüme gesehen hat und doch recht lang auf Weltreise war. Während auf Englisch gesungen wird, gibt man die etwas zu ausführlichen Sprechtexte auf Deutsch, erfreulicherweise können fast alle Sänger gut sprechen, was ja selten vorkommt.
Die Münchner Produktion bietet beste Unterhaltung – große Show mit gelegentlichem Tiefgang. Das Gärtnerplatztheater braucht den Vergleich mit London oder New York nicht zu scheuen.
Musical: