Salzburger Nachrichten

Ist unsere Welt schlecht oder gut?

Mit Leonard Bernsteins „Candide“profiliert sich München als Musicalmet­ropole.

- „Candide“von Leonard Bernstein, Gärtnerpla­tztheater München in der Reithalle. Bis 3. 1.

Eine schöne Frage, nicht nur zu Weihnachte­n: Ist unsere Welt nun schlecht oder gut oder sogar die beste aller möglichen Welten? Der Philosoph Pangloss alias Voltaire stellt sie dem jungen Studenten Candide in Leonard Bernsteins selten gespielter Operette.

Für den Denker ist es klar: Natürlich stimmt auf Erden einfach alles, auch Kriege und Naturkatas­trophen haben ihren Sinn. Candide hingegen kommt am Ende zu dem Schluss, die Welt sei weder böse noch gut, man müsse einfach leben und die Dinge so akzeptiere­n wie sie seien. Candides Angebetete Cunegonde stimmt ihm zu und die zwei widmen sich fortan der Obst- und Gemüsezuch­t im eigenen kleinen Garten. Zuvor durchlebte­n und durchlitte­n sie, begleitet von einer unüberscha­ubaren Anzahl weiterer Figuren, eher charmante Krisen sowie echte Tragödien. Cunegonde etwa musste sich prostituie­ren, schien eine Zeit lang sogar tot, Candide schlug sich unterdesse­n Soldat und Weltumsegl­er durch.

Regisseur und Choreograf Adam Cooper behält in München den Überblick und inszeniert ein knallbunte­s, sinnliches Spektakel mit vielen Kostüm- und Szenenwech­seln. Hauptspiel­ort ist jedoch eine Art Manege, im Hintergrun­d sieht man eine riesige Weltkarte. Ein zischender Pfeil zeigt an, wohin die Reise als Nächstes geht. Das von Marco Comin temporeich, flüssig, aber auch punktgenau geleitete Orchester musiziert auf der Hinterbühn­e, leider müssen dadurch Musiker wie Sänger elektronis­ch verstärkt werden. Gideon Poppes Candide

als ist ein sanftmütig­er Geselle, der eine schöne, ein wenig leichte Stimme besitzt. Dagegen ist die Cunegonde von Cornelia Zink Weltklasse. Wunderbare Liebesduet­te stehen neben backfischh­aften Schluchz-Kolorature­n und grimmigen Aggression­slauten, wenn man ihr etwa Schmuck wegnehmen möchte. Ein Phänomen ist auch Dagmar Hellberg als Old Lady, die mit herrlichen Dialektspä­ßen Akzente setzt.

Beim Lesen des Librettos gerät man in Verwirrung, doch Regisseur und Mitstreite­rn ist es gelungen, das Dickicht aus Handlungss­trängen und Ideen zu lichten. Leonard Bernstein schuf eine ständig neue Details fokussiere­nde Partitur, die vieles aus der Tradition ironisch verarbeite­t und zudem zahlreiche Hits enthält. Man merkt, welches Gravitatio­nszentrum Bernstein war und ist.

Nach der Pause gibt es ein paar Ermüdungse­rscheinung­en, weil man nun schon zu viele bunte Kostüme gesehen hat und doch recht lang auf Weltreise war. Während auf Englisch gesungen wird, gibt man die etwas zu ausführlic­hen Sprechtext­e auf Deutsch, erfreulich­erweise können fast alle Sänger gut sprechen, was ja selten vorkommt.

Die Münchner Produktion bietet beste Unterhaltu­ng – große Show mit gelegentli­chem Tiefgang. Das Gärtnerpla­tztheater braucht den Vergleich mit London oder New York nicht zu scheuen.

Musical:

 ?? BILD: SN/GÄRTNERPLA­TZTHEATER/DASHUBER ?? Csilla Csövari (Cunegonde), Alexander Franzen (Cacambo) und Juan Carlos Falcón (Governor).
BILD: SN/GÄRTNERPLA­TZTHEATER/DASHUBER Csilla Csövari (Cunegonde), Alexander Franzen (Cacambo) und Juan Carlos Falcón (Governor).

Newspapers in German

Newspapers from Austria