Weihnachten auf Gut Kanzlerbichl
Und Friede auf Erden. Schon im Mittelalter war klar, dass dieses Ziel höchstens annäherungsweise erreichbar ist. Die Kirche trachtete daher, den Krieg wenn nicht abzuschaffen, so doch einzuschränken. So verbot sie Kampfhandlungen gegen Frauen, Kinder, Arme, Bauern und Geistliche, in Kirchen und auf Friedhöfen, zu Ostern und zu Weihnachten, zur Fasten- und zur Adventzeit sowie von Donnerstag bis Sonntag. Am Donnerstag wegen des letzten Abendmahls Christi, am Freitag wegen der Kreuzigung Christi, am Samstag wegen der Beerdigung Christi und am Sonntag wegen des Tags des Herrn.
Hätte sich dieser „Waffenstillstand Gottes“, wie er genannt wurde, durchgesetzt, wären der Welt relativ viel Friede und relativ wenig Krieg beschieden gewesen. Wie wir wissen, ist es leider anders gekommen. Hier im Fegefeuer soll aber heute (Samstag und Adventzeit!) tiefster Friede herrschen und ein Bild der Politik gezeichnet werden, wie sie auch sein könnte – ein Idyll.
Also: In dicken Watteflocken sinkt der Schnee auf den verträumten Gutshof herab. Der Gemüsegarten vor dem Haus liegt in tiefem Winterschlaf und ist selbstverständlich nicht umzäunt, sondern nur baulich-technisch bemaßnahmt. Aus dem Schornstein pafft gemütlich der dicke Rauch in den sternenklaren Nachthimmel. Da wird drinnen wohl gerade fest mit Expertenpapieren zur Verwaltungsreform eingeheizt. So viel Schwall und Rauch.
Besinnliche Weihnachtsstimmung herrscht in Gut Kanzlerbichl. In einer Ecke mümmelt ein Häschen an einer registrierkassenpflichtigen Karotte. Die heiligen Kühe schauen, zufrieden den Status quo wiederkäuend, aus dem Stall in die gute Stube herein. Auf dem Herd köchelt munter das Übliche. Um den Tisch hat sich in anheimelnder Runde die liebe Familie versammelt.
Im Hintergrund singt Helene Fischer „Atemlos durch die Reformnacht“, es riecht nach gedroschenem Stroh. Mit versonnenem Lächeln entzündet der Gutsherr die Kerzen auf dem Adventkranz. (Der Streit mit seiner Frau, der Gutsherrin, wer die Kerzen anzünden darf, war problemlos nach sechs Monaten beigelegt worden.) Tiefster Friede liegt über der Szene.
Gut, unter dem Tisch balgen sich die Kinder beim uralten Spiel „Klubchef und Parteisekretär“. Aber sie wollen nur spielen. Oben, auf den langen Bänken, auf die man so gut Dinge schieben kann, kuscheln sich die Eltern aneinander und blicken treuherzig in den Bundespräsidentenwinkel. „Ja, ja“, sagt der Gutsherr bedeutungsschwer. „Nein, nein“, pflichtet ihm die Gutsherrin bei. Damit ist alles gesagt. Andächtige Stille macht sich breit in der Stube. Nur im Ofen knistert leise die Spannung.
Auch drüben im Stall ist es heimelig. Irgendwo im Heu gackern zwei Hennen über ungelegte Eier. Ochs und Esel stehen wie . . ., nun ja, wie Ochs und Esel vor der leeren Reformkrippe. Auf dem Giebel gurren traute Turteltäubchen. Geleitet vom Kometen nähern sich die neun heiligen Landeshauptleute, um Gold, Weihrauch und sicherheitshalber noch einmal Gold abzuholen.
Draußen, auf den Feldern, kauen zwei Eslein geduldig ihr Gnadenbrot. Eine emsige Magd repariert nach Feierabend noch rasch das Loch im Zaun. Der prächtige Schneemann bei der Einfahrt trägt stolz eine rote Karottennase und schwarze Kohlenäuglein. Auf dem nahen Weiher schnattern begnadigte Weihnachtsgänse und lustige Zeitungsenten um die Wette. Und über allem hallt silbrig ein aus Einsparungsgründen halbierter Engelschor.
So friedlich ist sie, die Weihnachtszeit auf Gut Kanzlerbichl. Kann es nicht immer so sein, werden sich die Kleinen und Junggebliebenen jetzt voll Sehnsucht fragen. Ja, liebe Kinder, vielleicht. Wenn ihr ganz, ganz brav seid.