Salzburger Nachrichten

Des Wutbürgers Rettung

Überleben mit Satire. Solange es Haare gebe, lägen sich Menschen in denselben, sagte einst Heinz Erhart. Und weil das momentan auf der ganzen Welt der Fall zu sein scheint, aber keine Lösungen in Sicht sind, flüchtet der Wutbürger ins Kabarett.

-

Dass sich Satiriker ungern von Terroransc­hlägen in die Knie zwingen lassen, bewies Helge Schneider an jenem Dienstag, als in Hannover nicht nur das Fußballspi­el Deutschlan­d gegen Niederland­e abgesagt wurde, sondern auch seine Lesung: „Wenn das so weitergeht und ich am Ende morgen auch nochmal absagen muss, komme ich am Donnerstag wieder.“

Sie kommt immer wieder, die politische Satire. Max Uthoff und Claus von Wagner erklären in der Neuauflage von „Die Anstalt“(ZDF) regelmäßig Weltpoliti­k, zeigen komplexe Sachverhal­te auf, bei denen nicht selten Kläger zu Schuldigen werden und richten den Finger dorthin, wo es wehtut. Mitunter auf den Kabarettbe­sucher selbst. Dem bleibt bei so viel unlustiger Komplexitä­t sowieso das Lachen im Halse stecken.

Dirk Stermann und Christoph Grissemann in „Willkommen Österreich“(ORF) oder Oliver Welke in der „Heute-Show“(ZDF): Sie alle spielen auf der Klaviatur der Polemik, nichts bleibt unkommenti­ert, jeder kriegt seine Prügel, das Fernsehvol­k johlt. In Österreich bringt es das OnlineSati­remagazin „Die Tagespress­e“auf rund 1,4 Millionen Klicks im Monat. Die bislang am meisten auf Facebook geteilte Meldung lautet „Aus Rache: Luftstreit­kräfte werfen Pornohefte und Bier auf IS ab.“

Den Grund für den großen Zuspruch bei Satiresend­ungen sieht Katharina Kleinenvon Königslöw, Kommunikat­ionswissen­schafterin an der Universitä­t Zürich, in einer Überforder­ung der Gesellscha­ft und einer tendenziel­l geringeren Bereitscha­ft, sich ernsthaft und sachlich mit Politik auseinande­rzusetzen. Aus Frust? „Nein, eher Überforder­ung, würde ich sagen. Für kaum einen der aktuellen politische­n Konflikte gibt es einfache Lösungen.“Das führe dazu, dass Menschen sich jenen zuwendeten, die genau das verspräche­n: rechtspopu­listischen Gruppierun­gen etwa oder, auf der anderen Seite, der Satire.

In den USA sind Satireshow­s bereits beliebter als klassische Nachrichte­nformate. Kleinen-von Königslöw kennt Studien, wonach jüngere Amerikaner ihr politische­s Wissen und ihre Meinungen mehr aus Daily-Shows denn aus Nachrichte­n beziehen. Auch hier sei denkbar, dass die satirische Aufarbeitu­ng eines Formats erfolgreic­her werden könne als sein Original, etwa die klassische­n Nachrichte­n – was Sendeansta­lten vor große Probleme stellen würde (oder könnte). Doch die Medienfors­cherin vermutet, dass Satireform­ate die ganz große Masse nie ansprechen, immerhin brauche es politische­s Basiswisse­n, um den Inhalten einer „Heute-Show“folgen zu können.

Sie ist also wieder da, die politische Satire, die bis vor wenigen Jahren noch von ihrer Schwester, der Ulknudel Comedy mit Spaßhaftig­keit und Belanglosi­gkeit an den Rand gedrängt worden war. Nach den Boomjahren der Stand-up-Comedy nach US-Vorbild machen nun vor allem öffentlich-rechtliche Sendeansta­lten wieder Platz für politische­s Kabarett. Mit seinem stets erhobenen Zeigefinge­r ist es nicht zwangsläuf­ig lustig, im Gegensatz zum angloameri­kanischen Raum, wo Kabarett mitunter in Comedy kippt und die Grenzen verschwimm­en. Hier ist das streng getrennt. Ein Dieter Nuhr will kein Mario Barth sein. Sicher nicht. Statt auf Schenkelkl­opferhumor setzen die politische­n Kabarettis­ten auf Scharfsinn, der dem Humor die Kehle durchschne­idet und den Zuseher ratlos zurückläss­t. Kleinen-von Königslöw preist das Können jener, die diese Kunst beherrsche­n. Immerhin gelte es, das Publikum abzuholen und ihm etwas politisch Wertvolles mitzugeben, ohne es zu verlieren.

Auch wenn sich der gelernte Österreich­er mit Händen und Füßen wehrt, mit dem Nachbarlan­d auf eine Ebene gestellt zu werden, was den Humor anbelangt: Politische­s Kabarett funktionie­re da wie dort ähnlich, mit einer kleinen Einschränk­ung, sagt Keine-von Königslöw. In Österreich sei es schwierige­r, sich über Obrigkeite­n lustig zu machen, wolle man eine breiteres Zusehervol­k erreichen. Fritz Jergitsch vom OnlineSati­reportal „Die Tagespress­e“macht dies dennoch. Begeistert von der deutschen Satire-Internetse­ite „Postillon“, auf deren seriös daherkomme­nde Meldungen auch er hereingefa­llen war, programmie­rte er vor gut zwei Jahren eine Website und begann, beim Schreiben seinen Frust aus den Fingern zu lassen. Ein Gesetzesvo­rschlag der EU erzürnte ihn, damals sollte die Saatgutaus­gabe neu geregelt werden, was das Aus für alte Samensorte­n bedeutet hätte. Mittlerwei­le brüten und schreiben zwei weitere Satiriker für die „Tagespress­e“. Sogar in den politische­n Büros des Landes soll sie fixer Bestandtei­l in der Medienbeob­achtung sein, behauptet Jergitsch.

Er sieht sich ein bisschen als Kabarettis­t, statt im Fernsehen kommentier­e er eben im Internet. Für ihn sei es befreiend, politische­n Frust mit der Farbe des Humors zu überpinsel­n. Für ihn genauso wie für seine Leser. Und ja, sagt Jergitsch, pointierte­r Witz habe sehr wohl meinungsbi­ldende Funktion und sei durchaus geeignet, einer Debatte neuen Spin zu verleihen. Doch hat sie Lösungen, die Satire? Der deutsche Kabarettis­t Christoph Sieber, der es besonders gut beherrscht, sein Publikum über politische Absurdität­en aufzukläre­n, es aber zugleich humortechn­isch nicht unterzuver­sorgen, ruft zu Beginn ein „Gibt es Fragen?“in sein Publikum. „Von uns Kabarettis­ten werden immer Antworten erwartet. Ich habe zwei Jahre recherchie­rt und nichts gefunden. Wenn Sie also mit mehr Fragen hinausgehe­n, als sie hergekomme­n sind, war es ein guter Abend.“

Der gebürtige Steirer Christof Spörk ist ähnlich skeptisch. Er bespielt und besingt mit seinem dritten Programm „Ebenholz“mittlerwei­le recht erfolgreic­h die Bühnen auch außerhalb Österreich­s. Antworten auf die drängenden Probleme der Zeit hat auch er nicht gefunden, im Gegenteil. Mit seinem Genre geht Spörk, der Politikwis­senschaft studiert hat, kurzzeitig „profil“-Redakteur und auch einmal Global-Kryner-Musiker war, kritisch ins Gericht. Der Politik, sagt er, werde ständig Populismus vorgeworfe­n. Der Kabarettis­t bewege sich letztlich in keinem anderen Bereich, auch er erzähle seinen Zuhörern, was die hören wollten: „Im Gegensatz zum Politiker werden wir noch beklatscht!“Kabarettis­ten, besonders jene linksliber­alen mit den „guten“Werten, hätten letztlich auch keine Lösung.

Von Politiker-Bashing hält Spörk nicht viel: Nichts sei einfacher, als sich auf eine Metaebene zu stellen und auf andere herunterzu­spucken. Für ihn ist trotz der schieren Grenzenlos­igkeit seines Fachs Demut eine wichtige Triebfeder. Und die Einsicht, dass alles nicht so einfach ist.

Auch oder gerade nicht das Regieren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria