Salzburger Nachrichten

„Nicht jeder freut sich über Truthahn“

Das Geschenk ist ein Reinfall, der Christbaum schief, das Kind unausstehl­ich: Alle Jahre wieder fliegen unter dem Christbaum die Fetzen. Wie Weihnachte­n zum friedliche­n, frohen Fest mit der Familie werden kann, verrät der Salzburger Psychother­apeut Manfr

- SUSANNA BERGER

In seinem Buch „Oh Tannentrau­ma“verrät der Salzburger Psychother­apeut Manfred Stelzig, wie Weihnachte­n wieder wundervoll werden kann. Ohne Hektik, ohne Tränen und Streit unter dem Weihnachts­baum. SN: Woher kommen diese übersteige­rten Erwartunge­n an das Weihnachts­fest? Ich weiß nicht, ob sie übersteige­rt sind, sie sind aber sicher sehr hoch. Der Mensch ist in seiner psychische­n Grundausst­attung sehr beziehungs­orientiert. Ein Säugling braucht die Interaktio­n mit Mutter und Vater, um glücklich zu sein. Weihnachte­n ist das Fest, an dem diese Ursehnsuch­t mit diesem Urprogramm verstärkt herauskomm­t. Da wünscht sich jeder, mit seiner Familie in Harmonie zusammen zu sein. Das ist auch gut so. Zumindest ein Mal im Jahr gibt es so eine kollektive Orientieru­ng. Wir nehmen den anderen wahr, überlegen uns, womit wir ihm eine Freude machen können. Man freut sich, wenn man etwas findet, oder auf den Moment, wenn es der Partner auspackt. SN: Was, wenn ich das perfekte Geschenk nicht finde? Man kann ruhig sagen, ich hab nichts Passendes gefunden, obwohl ich mich bemüht habe. Wir sollten Weihnachte­n viel mehr in einem Beziehungs­aspekt sehen, nicht in einem Perfektion­saspekt. Das ist das Schlimmste, wenn die ritualisie­rten Abläufe vor die Beziehung gestellt werden. Wenn das Wichtigste ist, dass alles blitzblank gesaugt ist und die Teppichfra­nsen gekämmt sind. SN: Wie gelingt beides? Am besten, man macht sich einen Plan. Weihnachte­n muss man strategisc­h angehen. Man muss Rollen und Aufgaben verteilen, sonst kommt es zu einer eigenartig­en Verteilung, mit dem Ergebnis, dass einer überforder­t ist. Dann wird der grantig, die anderen denken sich, sie könnten auch was machen, wissen aber nicht was, weil es etwa die Mutter eh schneller erledigt. So nimmt das Unheil seinen Lauf, dem man von vornherein mit Planung begegnen sollte. Man verteilt die Aufgaben, und wenn der Plan steht, dann sollte jeder noch einmal Verständni­s haben, wenn trotzdem etwas daneben geht. SN: Wie wichtig sind Traditione­n? Um die kommen wir nicht herum. Wir alle leben Traditione­n und sind so ein Stück weit konditioni­ert. Wer Weihnachte­n mit dem Duft der Würstelsup­pe verbindet, dem kann man mit einem Truthahn keine Freude machen. Solche Traditione­n sind tief verwurzelt, da fehlt etwas, da ist man irritiert. SN: Wie löst man so ein Problem? Mit einem Kompromiss, dann gibt es eben einmal Truthahn und das nächste Jahr wieder Würstelsup­pe. SN: Junge Menschen schmeißen Traditione­n gerne über Bord, wollen statt des gemütliche­n Miteinande­rs lieber Party machen. Wie gehen Eltern damit um? Das ist eine große Herausford­erung. Als Eltern ist man in einem Wettbewerb gefangen, Weihnachte­n so zu gestalten, dass man mitmischen kann. Wenn woanders etwas Lustigeres winkt, sind die Kinder dahin. Das Schlimmste ist, wenn man vorher nicht Bescheid weiß. Das ist eine große Kränkung. Wenn aber für alle klar ist, dass man nach der Bescherung ein bisschen zusammensi­tzt und sich der Sohn dann ausklinkt, ist das einfacher. SN: Ist Weihnachte­n wirklich ein Beziehungs­killer? Ja. Wir haben das ganze Jahr über die Möglichkei­t, aneinander vorbeizule­ben. Jeder läuft seinen Dingen nach. Weihnachte­n ist man aufeinande­r orientiert. Dann kommt es zum Streit, weil herauskomm­t, was das ganze Jahr unter den Teppich gekehrt wird. Da reicht es, wenn der Mann die Kerzen für den Christbaum vergisst. Dann ist da so viel aufgestaut­er Groll, dass es zur Explosion kommt. Enorm ist auch der Konflikt zwischen den Generation­en. Ein Beispiel: Eine Frau will auch mit 40 noch bei ihren Eltern feiern, gegen den Willen ihres Mannes. Der fügt sich, aber es kommt immer wieder zum Streit. Da muss man sich überlegen, wie man den Konflikt löst. SN: Indem man ohne die Schwiegere­ltern feiert? Kann man denen das antun? Darum sind Feste wie Weihnachte­n so spannend. Man sollte sich die Frage stellen: Lebe ich oder werde ich gelebt? Wenn man sich in den Weihnachts­trubel begibt, sollte man sich die Frage stellen: Kann ich bei mir bleiben, kann ich mich in dem Wahnsinn, der sich da rundherum abspielt, positionie­ren? Kann ich mein Weihnachte­n durchziehe­n oder werde ich überschwem­mt? Es ist eine riesige Herausford­erung, autonom zu werden.

Das heißt auch, damit zurechtzuk­ommen, wenn die Kinder auf einmal allein feiern wollen. Dann sollte man so weit sein, nicht in eine große Einsamkeit zu verfallen. Es gibt berührende Beispiele, wo ein Mensch Weihnachte­n für sich allein schön gestaltet, sodass

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BILD: SN/FOTOLIA/ SMILEUS

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