Saudi-Arabien stoppt Weizenanbau
Die Wasserreserven sind aufgebraucht. Um nicht in riskante Abhängigkeiten zu geraten, kaufen die Ölprinzen weltweit Ackerböden auf.
Durch Jahrtausende hinweg labten sich die Menschen an den Quellen von Tayma im Nordosten Saudi-Arabiens. Dank ihres Wassers entstanden mitten in der Wüste stolze Städte, über die die Assyrer schon im achten Jahrhundert v. Chr. schrieben. So bedeutend waren diese Städte, dass sie Prophet Jeremias in seine apokalyptischen Weissagungen einschloss. Nun, 2500 Jahre später, werden sie wahr – mit Hilfe der Regierung Saudi-Arabiens.
Kein Wasser rauscht mehr zwischen den Palmen, die meisten Quellen Taymas sind versiegt. Dieses Schicksal droht allen Oasen der Arabischen Halbinsel. Mitschuld tragen die verheerende Politik des Königshauses in Riad, das seine wichtigsten Naturschätze jahrzehntelang verschwendete, und der Klimawandel mit seinen stetig steigenden Temperaturen.
Wer noch vor wenigen Jahren über die Arabische Halbinsel flog, erblickte durchs Flugzeugfenster Tausende grüne Kreise im eintönigen Braun: riesige Weizenfelder mitten in der Wüste. In Riad sprach man von einer Erfolgsstory.
Das karge Land habe seine Nahrungsversorgung sichergestellt, und das unter idealen Bedingungen: In der Wüste leben keine Schädlinge, ewiger Sonnenschein garantiert schnelles Wachstum. Und Wasser? Kein Problem, schließlich lebte man auf einem der größten unterirdischen Wasserreservoirs der Welt. In den Hohlräumen des arabischen Gesteins, einem sogenannten Aquifer, der in der jüngsten letzten Eiszeit entstand, dümpelte so viel Wasser wie in Lake Erie, dem fünftgrößten See Nordamerikas. Und so gelang Saudi-Arabien in den 1980erJahren die Metamorphose vom Wüstenstaat zum Weizenexporteur. Die Regierung schenkte den Bauern Strom und Wasser, zahlte ein Vielfaches des internationalen Preises für die Ernte und erhob keine Steuern.
Im Spitzenjahr
1992
sprossen mehr als 4,1 Millionen Tonnen Weizen – fünf Mal mehr als der Eigenverbrauch. Der Rest wurde verschenkt, an Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, den Jemen und Oman, oder er verrottete einfach.
Die Felder sind nicht das einzige Landwirtschaftsprojekt der Superlative. Knapp 150 Kilometer südöstlich von Riad steht der größte Kuhstall der Welt. In sechs vollklimatisierten Gebäuden der Al-Safi-Farm liefern mehr als 40.000 friesische Kühe täglich Hunderttausende Liter Milch. Doch im Gegensatz zur Behauptung ihrer offiziellen Webseite befindet sich die Anlage keineswegs „in totaler Harmonie mit ihrer Umwelt“– im Gegenteil: Genau wie der Weizenanbau verschlingt sie Unmengen Wasser und Strom.
So leerte Saudi-Arabien in nur einer Generation den Aquifer, der Zehntausende Jahre gebraucht hatte, um sich zu füllen. Nun zieht Riad die Notbremse: 2016 wird das Land seinen gesamten Weizenbedarf mit Importen decken. Damit wird Saudi-Arabien wieder wie seine Nachbarstaaten zu einem Land, das Kohlenwasserstoffe (Öl) verkauft, um Kohlenhydrate (Nahrung) zu kaufen.
Das ist problematisch. Zum einen, weil der Bedarf steigt und das Angebot sinkt. Im Nahen Osten müssen fünf Prozent der Weltbevölkerung mit nur einem Prozent der weltweiten Niederschläge auskommen. Laut Hochrechnungen Gil Yaron berichtet aus dem Mittleren Osten werden die Niederschläge des Klimawandels massiv
Rund 60 Millionen Menschen in Syrien, Jordanien und allen Golfanrainern werden immer härter mit Saudi-Arabien um die verbliebenen Wasserreserven ringen – nicht um Weizen anzubauen, sondern um ihren Durst zu löschen. Dazu kommt, dass der Weizenimport Gefahren mit sich bringt. Ägypten ist seit Jahren wegen abnehmen. weltweit größter Importeur. Doch 2011 war es global zu Missernten gekommen, was das Angebot verknappte. Gleichzeitig kaufte China Weizen auf, weil es an einer Jahrhundertdürre litt. Der Weizenpreis verdoppelte sich in kürzester Zeit, Kairos devisenarme Regierung konnte das Brot nicht mehr subventionieren. Demonstrationen waren die Folge, sie mündeten – auch aus anderen Gründen – in eine Revolution.
Auch Syriens Aufstand 2001 gingen fünf schwere Dürrejahre voraus. 85 Prozent der Herden verendeten. 800.000 Bauern verloren ihren Lebensunterhalt. Doch Präsident Baschar al-Assad griff nur den reichen Großbauern unter die Arme und subventionierte den wasserintensiven Anbau von Produkten, die gegen Devisen exportiert werden konnten. Genau wie in Saudi-Arabien bereicherte sich die regierende Elite auf Kosten der Bevölkerung an den natürlichen Ressourcen.
Nun ist Saudi-Arabien bei Weitem wohlhabender als Syrien oder Ägypten. Doch selbst das reiche Kö- nigreich spürt finanziellen Druck. Der niedrige Ölpreis, der teure Krieg im Jemen, die Unterstützung sunnitischer Rebellen in Syrien und andernorts, die weltweit größten Waffenimporte und die zunehmenden Bedürfnisse der eigenen Bürger haben 2015 zu einem Budgetdefizit in Höhe von rund 100 Milliarden Dollar geführt. Wenn sich das nicht ändert, sind die Devisen-Schatullen der Scheichs in fünf Jahren leer. Auch deswegen stellte die Regierung den verschwenderischen Weizenanbau ein.
Doch wie die Versorgung sicherstellen? Wasserentsalzung kann keine Antwort sein, selbst für die Scheichs wäre Landwirtschaft mit entsalztem Wasser zu teuer. Stattdessen hat Saudi-Arabien wie China begonnen, in aller Welt in den Agrarsektor zu investieren.
Die „König-Abdullah-Initiative für landwirtschaftliche saudische Investitionen im Ausland“gewährt saudischen Firmen seit 2008 diplomatische Hilfe und günstige Kredite, um Nahrungsmittelfirmen und Bauernland aufzukaufen, von den Ufern des Senegal-Flusses in Westafrika bis zu den Regenwäldern Indonesiens. An den Quellen des Nils in Äthiopien erstand die Firma Saudi Star riesige Ländereien. Sogar in Arizona wurden rund 40 Quadratkilometer Ackerboden aufgekauft.
Bei diesen Deals sichern sich die saudischen Investoren meist den Zugang zu Wasser und behalten sich das Recht vor, mindestens 50 Prozent ihrer Erträge nach Hause zu exportieren. Saudi-Arabiens Dürre ist also längst kein lokales Problem mehr.
Sollten sich die Lebensbedingungen im Reich der Ölprinzen bedeutend verschlechtern, droht auch der Arabischen Halbinsel politisches Chaos. So steht der fruchtbare Westen vor der Wahl, entweder Wasser in Form von Weizen, Fleisch und Milch nach Saudi-Arabien zu exportieren oder Instabilität in Form von mehr Flüchtlingen, Extremismus und Terror zu importieren.