Oberwert, Richtgrenze und gespreizte Beine
Theoretische Grundlagenarbeit zum jüngsten Streit-Wochenende.
Das Streif-Wochenende ist vorüber, also können wir im Wörterbuch ein paar Seiten weiterblättern – zu „Streit, der“. Das ist das Wort des Jahrzehnts, denn bei unserer Regierung kommen auf ein Streif-Wochenende pro Jahr mindestes 51 Streit-Wochenenden.
Diesmal stand auch am Streif-Wochenende Streit auf dem Programm. Aktuell (für all jene, die irgendwie den Überblick verloren haben) streiten SPÖ und ÖVP darüber, worüber sie eigentlich genau streiten: über eine Obergrenze oder über einen Richtwert? Wie wir die RotSchwarzen kennen, wird der Kompromiss Oberwert lauten. Oder Richtgrenze. Je nachdem, wer sich halt durchsetzt.
Bis diese oberrichtige, aber grenzwertige Frage geklärt ist, bietet sich theoretische Grundlagenarbeit zum Thema Streit an. Dabei stellt sich überraschenderweise heraus, dass Streit ein überaus junges Phänomen ist. Denn während es bei Wikipedia sehr wohl einen Ein- trag „Streit“gibt, sucht man einen solchen in Meyers Konversationslexikon aus dem Jahr 1908 oder auch im Brockhaus, Ausgabe 1993, vergeblich. Beide Lexika bringen stattdessen den Eintrag „Streitaxt“, was für das Verständnis der Vorgänge in der ex-großen Koalition aber ohnehin viel nutzbringender ist.
Also. Streitaxt, die: „Weit verbreitete, gefürchtete Wurfaxt von ganz charakteristischer Form. Verwendet von Römern, Franken, Goten, Engländern u. a., wurde später bei den Normannen hache genannt.“
Und der Meyer weiß weiter: „Die Streitaxt bestand im Mittelalter aus einem beilförmigen Eisen auf der einen und einer Art Hammer auf der anderen Seite, zwischen denen oft noch eine gerade Spitze in der Stielrichtung hervorragte (Übergang zur Hellebarde).“
Was man halt so braucht für einen gediegenen Gedankenaustausch beim Ministerrat. Bei richtig ausgeführtem Wirbelwurf lassen sich damit drei feindliche Minister auf einmal erledigen. In Wien ist die Streitaxt übrigens nicht unbekannt, entspricht sie doch dem aktuellen Ausrüstungsstand des Bundesheeres.
Das Konversationslexikon kennt auch noch Streithammer, Streitkolben und Streitwagen. Letztgenannter ist allerdings kostspielig und daher der gehobenen Kriegerkaste vorbehalten. Also vom Vizekanzler aufwärts.
Was wir jetzt immer noch nicht wissen, ist, was Streit genau bedeutet. Letzte Rettung ist Kluges Etymologisches Lexikon. Dort steht zu lesen, dass das Wort „streiten“aus derselben Wurzel stammt wie „schreiten“und „spreizen“. Beim Schreiten werden nämlich die Beine gespreizt. Und beim Streiten schreiten die Meinungen auseinander. Sagt Kluge.
Wir fassen also zusammen: Die Große Koalition spreizt zurzeit ziemlich die Beine.
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