Salzburger Nachrichten

Oberwert, Richtgrenz­e und gespreizte Beine

Theoretisc­he Grundlagen­arbeit zum jüngsten Streit-Wochenende.

- Alexander Purger

Das Streif-Wochenende ist vorüber, also können wir im Wörterbuch ein paar Seiten weiterblät­tern – zu „Streit, der“. Das ist das Wort des Jahrzehnts, denn bei unserer Regierung kommen auf ein Streif-Wochenende pro Jahr mindestes 51 Streit-Wochenende­n.

Diesmal stand auch am Streif-Wochenende Streit auf dem Programm. Aktuell (für all jene, die irgendwie den Überblick verloren haben) streiten SPÖ und ÖVP darüber, worüber sie eigentlich genau streiten: über eine Obergrenze oder über einen Richtwert? Wie wir die RotSchwarz­en kennen, wird der Kompromiss Oberwert lauten. Oder Richtgrenz­e. Je nachdem, wer sich halt durchsetzt.

Bis diese oberrichti­ge, aber grenzwerti­ge Frage geklärt ist, bietet sich theoretisc­he Grundlagen­arbeit zum Thema Streit an. Dabei stellt sich überrasche­nderweise heraus, dass Streit ein überaus junges Phänomen ist. Denn während es bei Wikipedia sehr wohl einen Ein- trag „Streit“gibt, sucht man einen solchen in Meyers Konversati­onslexikon aus dem Jahr 1908 oder auch im Brockhaus, Ausgabe 1993, vergeblich. Beide Lexika bringen stattdesse­n den Eintrag „Streitaxt“, was für das Verständni­s der Vorgänge in der ex-großen Koalition aber ohnehin viel nutzbringe­nder ist.

Also. Streitaxt, die: „Weit verbreitet­e, gefürchtet­e Wurfaxt von ganz charakteri­stischer Form. Verwendet von Römern, Franken, Goten, Engländern u. a., wurde später bei den Normannen hache genannt.“

Und der Meyer weiß weiter: „Die Streitaxt bestand im Mittelalte­r aus einem beilförmig­en Eisen auf der einen und einer Art Hammer auf der anderen Seite, zwischen denen oft noch eine gerade Spitze in der Stielricht­ung hervorragt­e (Übergang zur Hellebarde).“

Was man halt so braucht für einen gediegenen Gedankenau­stausch beim Ministerra­t. Bei richtig ausgeführt­em Wirbelwurf lassen sich damit drei feindliche Minister auf einmal erledigen. In Wien ist die Streitaxt übrigens nicht unbekannt, entspricht sie doch dem aktuellen Ausrüstung­sstand des Bundesheer­es.

Das Konversati­onslexikon kennt auch noch Streithamm­er, Streitkolb­en und Streitwage­n. Letztgenan­nter ist allerdings kostspieli­g und daher der gehobenen Kriegerkas­te vorbehalte­n. Also vom Vizekanzle­r aufwärts.

Was wir jetzt immer noch nicht wissen, ist, was Streit genau bedeutet. Letzte Rettung ist Kluges Etymologis­ches Lexikon. Dort steht zu lesen, dass das Wort „streiten“aus derselben Wurzel stammt wie „schreiten“und „spreizen“. Beim Schreiten werden nämlich die Beine gespreizt. Und beim Streiten schreiten die Meinungen auseinande­r. Sagt Kluge.

Wir fassen also zusammen: Die Große Koalition spreizt zurzeit ziemlich die Beine.

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