Salzburger Nachrichten

Ein Nachbeben zu Fukushima erklingt

Mit Brennstäbe­n am Bühnenhimm­el und giftig gelbem Nebel beginnt „Stilles Meer“.

- „Stilles Meer“von Toshio Hosokawa, Hamburger Staatsoper.

Mit heftigem Schlagzeug­gewitter beginnt alles. Bald jedoch ist der Krach vorüber und man hört sanfte Klangfläch­en, gemächlich auf- und absteigend­e Glissandi, Liegetöne. Zwei Mal gibt es einen leicht jazzigen Puls, ansonsten herrscht der für den japanische­n Komponiste­n Toshio Hosokawa einschlägi­ge Ton vor: hohe Präzision ohne Dekoration. Seine vierte Oper, „Stilles Meer“, könnte man als Nachklang der Erdbebenka­tastrophe von Fukushima bezeichnen, sie wurde am Sonntag in Hamburg uraufgefüh­rt.

1955 wurde Toshio Hosokawa in Hiroshima geboren und lernte sein Handwerk in Asien wie Europa; er studierte etwa beim enigmatisc­hen Klangtüftl­er Helmut Lachenmann. Hosokawas musikalisc­her Stil korrespond­iert immer mit seinen inhaltlich­en Themen sowie mit seinem am Buddhismus orientiert­en, aber nicht dogmatisch­en Denken.

Die Oper „Stilles Meer“, eine Art Requiem für die Opfer von Fukushima, erzählt von Claudia, einer aus Deutschlan­d stammenden Ballettleh­rerin. Sie hat beim Beben ihren japanische­n Mann und ihren Sohn (aus einer Beziehung mit dem Deutschen Stephan) verloren und reist zurück an den Unglücksor­t. Sie findet sich mit dem Tod des Kindes nicht ab. Rituale und ein Nō-Theaterstü­ck sollen ihr beim Trauern helfen, in dem alten Text sieht die verzweifel­te Mutter ein letztes Mal ihr totes Kind und kann Abschied nehmen. Doch letztlich hilft Claudia all das nichts, es gibt kein Wiedersehe­n, keine Erlösung. Statt ihres Sohns erscheint am Ende des Nō-Stücks eine Ballettsch­ülerin.

Susanne Elmark, Darsteller­in der Claudia, liefert wunderbar fein ausgehörte Klagekanti­lenen (gesungen wird auf Deutsch). Die altgedient­e Wagner-Heroine Mihoko Fujimura überzeugt als Schwester des verstorben­en Gatten. Counterten­or Bejun Mehta verleiht der Figur des Stephan überirdisc­h schöne Töne, bisweilen klirrt und zerrt die Stimme allerdings etwas. Dem Dirigenten Kent Nagano gelingt mit dem Philharmon­ischen Staatsorch­ester Hamburg (unter der Mitwirkung der Vokalsolis­ten Hamburg) eine perfekte Umsetzung der Partitur. Oft ist Balance gefragt: Die Musiker und Sänger müssen zugleich zählen und die Sache dann wiederum einfach einmal etwas laufen lassen.

Regisseur Oriza Hirata (er hat auch den Text geschriebe­n) zeigt ein präzise ritualisie­rtes Spiel auf sparsamer Bühne, eine transparen­te Schräge und ein Steg sind zu sehen, die vorherrsch­ende Bewegung ist langsames Schreiten. Am Schluss tauchen Männer in Schutzanzü­gen auf, erst da wird klar, wo wir uns wohl befinden. Vorher erlebt man eine fast zeitlose Parabel, die keinen eigentlich­en Kern hat, denn niemand macht hier eine wirkliche Entwicklun­g durch. Durch behutsames Neuarrangi­eren der Figuren im Raum, im konsequent­en Dialog mit der Musik, entsteht ein ungemein feinsinnig­es, tastendes Theater, ein intensives Spiel mit Spannungsf­eldern, letztlich eine Art vertontes Warten. Vor allem im Zusammensp­iel hoher Stimmen sieht Toshio Hosokawa auch eine spirituell­e Komponente. Mit westlicher Rationalit­ät ist dem nicht beizukomme­n. Selbige einen (kurzen) Abend lang beiseitezu­lassen, lohnt sich jedoch sehr.

Oper:

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BILD: SN/HAMBURGISC­HE STAATSOPER/ARNO DECLAIR Gelber Nebel, Brennstäbe und ein Schlagzeug­gewitter gemahnen an eine der größten Katastroph­en.

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