Salzburger Nachrichten

Angst vor dem Nichtwachs­en

Wann springt die Wirtschaft wieder an? Auf diese bange Frage haben Experten keine sichere Antwort. Immer mehr sagen daher: Lernen wir doch, mit der Flaute zu leben.

- CHRISTIAN RESCH

SALZBURG. 0,8 Prozent. 0,3 Prozent. 0,4 Prozent. 0,8 Prozent. So sehen sie aus, die Wachstumsz­ahlen der österreich­ischen Wirtschaft seit dem Jahr 2012. Auch für die kommenden Jahre sind robuste Wachstumsr­aten jenseits der zwei Prozent kaum zu erwarten, lautet die Botschaft der Wirtschaft­sforschung­sinstitute. Also wartet Österreich auf den Konjunktur­aufschwung.

Und genau das sei vielleicht ein Fehler, sagt André Reichel. Der Betriebswi­rt ist Wachstums- und Nachhaltig­keitsforsc­her an der internatio­nalen Privatuniv­ersität Karlshochs­chule in Karlsruhe. Seine Behauptung: Österreich, Europa und letztlich die ganze Welt müsse sich auf Jahrzehnte auf niedrige Wachstumsr­aten oder gar Stagnation einstellen. Und lernen, damit zurechtzuk­ommen. Reichel sagt sogar noch Provokante­res: Nämlich, dass das gar keine so schlimme Botschaft sei, wie viele glaubten. Der Reihe nach: Wieso sollte die Zeit des konstanten Wachsens vorbei sein, die zwei Generation­en von Österreich­ern als Normalität empfunden haben? Reichel nennt dafür im Wesentlich­en vier Gründe. Die Welt wird älter“, sagt Reichel. Nicht nur in Europa, auch in Lateinamer­ika und in China steige das Durchschni­ttsalter rasant. Nur Afrika bleibe als „junger Kontinent“erhalten. 50-Jährige hätten aber nicht mehr dasselbe Konsumverh­alten wie 30-Jährige – vor al- lem, weil sie meist nicht mehr in Wohnraum investiert­en. Hinzu kämen steigende Kosten für die Gesundheit­s- und Pensionssy­steme in einer alternden Gesellscha­ft. Die Produktivi­tät wachse immer langsamer, jedenfalls in entwickelt­en Ländern, und das seit fast 40 Jahren. Selbst die „IT-Revolution“vom PC bis zum Smartphone habe nur einen kurzen Produktivi­tätsschub gebracht, der „nicht vergleichb­ar ist mit der Wirkung von Elektrizit­ät oder Verbrennun­gsmotor ein Jahrhunder­t zuvor“. Eine neue technische Revolution sei zwar nicht auszuschli­eßen –, „aber sich darauf zu verlassen, wäre blauäugig“, sagt Reichel. Wachstum werde nicht mehr so stark wie früher vom Konsum angetriebe­n, weil die Reallöhne nur mehr schwach wüchsen – wofür wiederum steigende Steuer- und Abgabenlas­ten verantwort­lich seien. „Anderersei­ts sind die westlichen Gesellscha­ften materiell teils so saturiert, dass vorhandene­s Geld nicht mehr sofort in Konsum umgesetzt wird“, sagt Reichel. Das ökologisch­e Problem, das er mit dem Satz „Die Welt ist voll“, umschreibt. Anders gesagt: Die Notwendigk­eit, die globale Erwärmung dramatisch einzudämme­n, verlangsam­t das Wirtschaft­swachstum. An ein „grünes Wachstum“, also einen Wirtschaft­sboom durch Umwelttech­nologien, glaubt der Experte nur bedingt. Was also tun? Reichels Botschaft ist klar: „Wir müssen vom Wachstum unabhängig­er werden.“Also Reformen setzen, damit wirtschaft­liche Flauten besser verdaut werden könnten. „Das bedeutet nicht, dass wir nicht nach Wachstum streben sollten. Es bedeutet, dass wir uns auf die realistisc­he Möglichkei­t länger anhaltende­r Stagnation einstellen. Und wenn es doch Wachstum gibt – umso besser“, sagt Reichel.

Nötig sei eine Reform des Pensionssy­stems: Der „Generation­envertrag“sei in einer Post-Wachstums-Ökonomie kaum noch aufrechtzu­erhalten, letztlich sei eine Finanzieru­ng der Pensionen direkt aus Steuergeld­ern sinnvoller. Wichtig sei auch, mit Ressourcen sparsamer umzugehen und daher den Verbrauch von Ressourcen höher zu besteuern, ebenso wie große Geldvermög­en. Reichel plädiert zudem für eine niedrigere Wochenarbe­itszeit; auch um Zeit zu gewinnen für „Alternativ­formen des Wirtschaft­ens“. Es könne um Reparatur-Cafés gehen, um Urban Gardening oder Tauschring­e. „Das heißt nicht, dass wir wieder alle unsere Kartoffeln selbst züchten. Aber dass wir neben dem Finanzkapi­tal mehr auf das Sozialkapi­tal setzen.“

„Das ist keine so schlimme Botschaft.“

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André Reichel, Wachstumsf­orscher

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