Angst vor dem Nichtwachsen
Wann springt die Wirtschaft wieder an? Auf diese bange Frage haben Experten keine sichere Antwort. Immer mehr sagen daher: Lernen wir doch, mit der Flaute zu leben.
SALZBURG. 0,8 Prozent. 0,3 Prozent. 0,4 Prozent. 0,8 Prozent. So sehen sie aus, die Wachstumszahlen der österreichischen Wirtschaft seit dem Jahr 2012. Auch für die kommenden Jahre sind robuste Wachstumsraten jenseits der zwei Prozent kaum zu erwarten, lautet die Botschaft der Wirtschaftsforschungsinstitute. Also wartet Österreich auf den Konjunkturaufschwung.
Und genau das sei vielleicht ein Fehler, sagt André Reichel. Der Betriebswirt ist Wachstums- und Nachhaltigkeitsforscher an der internationalen Privatuniversität Karlshochschule in Karlsruhe. Seine Behauptung: Österreich, Europa und letztlich die ganze Welt müsse sich auf Jahrzehnte auf niedrige Wachstumsraten oder gar Stagnation einstellen. Und lernen, damit zurechtzukommen. Reichel sagt sogar noch Provokanteres: Nämlich, dass das gar keine so schlimme Botschaft sei, wie viele glaubten. Der Reihe nach: Wieso sollte die Zeit des konstanten Wachsens vorbei sein, die zwei Generationen von Österreichern als Normalität empfunden haben? Reichel nennt dafür im Wesentlichen vier Gründe. Die Welt wird älter“, sagt Reichel. Nicht nur in Europa, auch in Lateinamerika und in China steige das Durchschnittsalter rasant. Nur Afrika bleibe als „junger Kontinent“erhalten. 50-Jährige hätten aber nicht mehr dasselbe Konsumverhalten wie 30-Jährige – vor al- lem, weil sie meist nicht mehr in Wohnraum investierten. Hinzu kämen steigende Kosten für die Gesundheits- und Pensionssysteme in einer alternden Gesellschaft. Die Produktivität wachse immer langsamer, jedenfalls in entwickelten Ländern, und das seit fast 40 Jahren. Selbst die „IT-Revolution“vom PC bis zum Smartphone habe nur einen kurzen Produktivitätsschub gebracht, der „nicht vergleichbar ist mit der Wirkung von Elektrizität oder Verbrennungsmotor ein Jahrhundert zuvor“. Eine neue technische Revolution sei zwar nicht auszuschließen –, „aber sich darauf zu verlassen, wäre blauäugig“, sagt Reichel. Wachstum werde nicht mehr so stark wie früher vom Konsum angetrieben, weil die Reallöhne nur mehr schwach wüchsen – wofür wiederum steigende Steuer- und Abgabenlasten verantwortlich seien. „Andererseits sind die westlichen Gesellschaften materiell teils so saturiert, dass vorhandenes Geld nicht mehr sofort in Konsum umgesetzt wird“, sagt Reichel. Das ökologische Problem, das er mit dem Satz „Die Welt ist voll“, umschreibt. Anders gesagt: Die Notwendigkeit, die globale Erwärmung dramatisch einzudämmen, verlangsamt das Wirtschaftswachstum. An ein „grünes Wachstum“, also einen Wirtschaftsboom durch Umwelttechnologien, glaubt der Experte nur bedingt. Was also tun? Reichels Botschaft ist klar: „Wir müssen vom Wachstum unabhängiger werden.“Also Reformen setzen, damit wirtschaftliche Flauten besser verdaut werden könnten. „Das bedeutet nicht, dass wir nicht nach Wachstum streben sollten. Es bedeutet, dass wir uns auf die realistische Möglichkeit länger anhaltender Stagnation einstellen. Und wenn es doch Wachstum gibt – umso besser“, sagt Reichel.
Nötig sei eine Reform des Pensionssystems: Der „Generationenvertrag“sei in einer Post-Wachstums-Ökonomie kaum noch aufrechtzuerhalten, letztlich sei eine Finanzierung der Pensionen direkt aus Steuergeldern sinnvoller. Wichtig sei auch, mit Ressourcen sparsamer umzugehen und daher den Verbrauch von Ressourcen höher zu besteuern, ebenso wie große Geldvermögen. Reichel plädiert zudem für eine niedrigere Wochenarbeitszeit; auch um Zeit zu gewinnen für „Alternativformen des Wirtschaftens“. Es könne um Reparatur-Cafés gehen, um Urban Gardening oder Tauschringe. „Das heißt nicht, dass wir wieder alle unsere Kartoffeln selbst züchten. Aber dass wir neben dem Finanzkapital mehr auf das Sozialkapital setzen.“
„Das ist keine so schlimme Botschaft.“