Wir fordern eine Berufung gegen das Urteil des Senats
60 Jahre erfüllte Arbeit als international renommierter Wissenschafter und Nobelpreisträger fanden keine Wertung.
Die Stellungnahme von Dozent Alexander Pinwinkler gegenüber dem Naturschutzbund veranlasst uns, für diese Organisation in die Schranken zu treten. Pinwinkler schrieb: Sich für Lorenz’ Wissenschafts- und Umweltverdienste einzusetzen sei ja ehrenhaft, gehe aber ins Leere, da der Akademische Senat diese gar nicht gewertet habe, sie seien als Gründe der seinerzeitigen Ehrung weiterhin untadelig – für den Senat aber nicht von den Verfehlungen zu trennen. Geehrt werde „immer die ganze Persönlichkeit, nicht isolierte Verdienste aus ihrem Leben“, so Pinwinkler.
Welch ein Widerspruch in sich – welch eine Logik!?
60 erfüllte Forscherjahre, davon auch zwei Jahrzehnte als Bezugsgröße für Tierschützer und Umweltbewegte in aller Welt, fanden in diesem Senat „keine Wertung“, werden also ausgeblendet, gehören nicht zur „ganzen Persönlichkeit“– dagegen reichen drei Jahre verbaler politischer Verirrung (in denen Lorenz nachweislich keinem geschadet hat) für die pauschale und aufsehenerregende Entehrung. Dies wird durch maßlose Überbewertung des dick aufgetragenen Beitrittsgesuchs begründet, „in dem er sich 1938 zu einem viel größeren Nazi machte, als er je war“(Klaus Taschwer), weil ihn – wie wir wissen – Kollegen dazu drängten, die ihn auf dem Lehrstuhl f. Vergl. Psychologie in Königsberg sehen wollten.
Lorenz betont im Beitrittsgesuch seine angeblich „erfolgreiche NSWerbetätigkeit unter den Studenten“. Der extrem kritische LorenzBiograf Klaus Taschwer bemerkt dazu treffend: „Mehr als eine Handvoll Studenten hatte Lorenz bis zum ,Anschluss‘ und Parteieintritt gewiss nicht.“
Wir können dies aus Erwähnungen von Lorenz über seine ersten Dozentenvorlesungen (Lehrbefugnis erst ab 1937!) und Berichten damals Inskribierter bestätigen – so z. B. Friedrich Schaller, später selbst bedeutender Zoologe (heute 95), der sich 1938 als einer seiner ersten Hörer unter gerade einmal fünf bis zwölf Studenten fand und bezeugte, dass in den faszinierenden Geschichten des Tierforschers kein Wort von Politik fiel und der originelle Dozent, der meist mit gekreuzten Beinen oben auf dem Katheder saß, nie – wie andere Professoren – mit dem Hitlergruß begann.
Vergeblich sucht man im wissenschaftlichen OEuvre des damaligen NS-Bewerbers auch nach den von ihm behaupteten „rassenkundlichen“Forschungen – die einzigen, die man dazu finden könnte, waren Verhaltensbeobachtungen an Hunderassen . . .
Die inkriminierte „Domestikationsarbeit“schließlich aus 1940 wurde weder in der NS-Zeit noch danach beachtet, bis sie der New Yorker Psychiater Leon Eisenberg 1972, im Jahr vor Lorenz’ Nobelpreis, der Vergessenheit entriss und in einem entscheidenden Punkt verfälschte (wovon die Salzburger Senatsgutachter offenbar keine Ahnung hatten). Jedenfalls wurde sie gerade in den zehn Jahren nach dem Nobelpreis 1973 bis 1983 ( dem Jahr des Salzburger Dr. hc. für Lorenz) wiederholt öffentlich bis zum Überdruss diskutiert. Darüber hinaus wurde sie von Lorenz selbst sowohl in der Nobelpreisrede als auch in seiner APA-Erklärung wegen ihrer „schlimmen NS-Terminologie“bedauert. „Mit anderen Worten: 1973 erörterte Lorenz vor der Weltöffentlichkeit, was er zehn Jahre später in Salzburg verschwiegen haben soll“, schreibt Patrick Bahners in der FAZ.
Hier nur so viel: Bei allem Verständnis dafür, dass ein „Zeitgeschichtler“auf NS-Reizvokabel reagiert wie ein Sprengstofffahnder auf Dynamitreste, braucht er doch nicht noch welche dreinwerfen und dazuerfinden, die in dieser Arbeit gar nicht vorkommen, wie die „Ausmerzung“der „Schwachen“und „Euthanasie“, die er im gesamten OEuvre von Lorenz nirgends finden wird, und zwar grundsätzlich nicht.
Es handelt sich hier offenbar um Projektionen eines einseitig vorprogrammierten Historikers, der weder Evolutionsbiologie verstanden noch eine Ahnung davon hat, welch beherrschende Rolle das Tötungs- verbot des Hippokratischen Eides im ärztlichen Selbstverständnis von Konrad Lorenz ein Leben lang gespielt hat.
Die Verwechslung von Euthanasie (Tötung) mit Eugenik (genetische Vorsorge durch selektive Förderung positiver Anlagen oder aber im Falle von Erbschäden Fortpflanzungsbeschränkung – nicht Tötung!) ist fachlich tragisch. Die Idee der „Eugenik“(Francis Galton, 1822–1911; griech. „richtige Fortpflanzung“) erfasste seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern zunehmend das Denken von Sozialmedizinern und Evolutionsforschern, von England über Skandinavien und die Schweiz bis Deutschland (dort 1895 vom ursprünglich sozial gesinnten Arzt Alfred Ploetz propagiert, im Wien der 1920/30er-Jahre vom sozialistischen Gesundheitsstadtrat und „jüdischen“Anatomieprofessor Julius Tandler).
Die Nazis verboten das Wort „Eugenik“und ersetzten es obligat durch den Terminus von Ploetz, „Rassenhygiene“, den dieser aber vier Jahrzehnte vorher ohne (!) Bezug zu anthropologischen Systemrassen im Sinn volksgesundheitlicher Prävention für die Gesamtpopulation eingeführt hatte (als Rasse im Sinne von „the human race“).
Allein das Reizwort „Rasse“verführt Historiker und Soziologen bis heute zur Unterstellung von Rassismus gegenüber sozialmedizinischen Vordenkern. „Rassenhygiene“klingt ja schlimm und schloss späteren Missbrauch tatsächlich nicht aus – trotz des frühen „Gemeinwohl-Ansatzes“.
Heute unbestrittene Formen eugenischer Prävention sind z. B. Inzestverbot (gegen Fortpflanzung zwischen Verwandten ersten Grades), weiters die genetische Eheberatung, die Vermeidung jeder Steigerung des Risikos von Erbschädigungen der Bevölkerung etwa aus Nuklearanlagen (1978 Hauptargument des Mediziners und Evolu- tionsforschers Lorenz in der Abwehr der Atomkraft), und als neuestes die Eugenik bei In-vitro-Befruchtungen und die Nutzung der Präimplantationsdiagnostik (mit führender Kompetenz an der MedUni Salzburg). Ein Pionier der Eugenik mit „genetic screening“auf breitester Basis ist übrigens der New Yorker Rabbiner Josef Eckstein mit großem Erfolg bei der Ausmerzung der Erbkrankheit Tay-Sachs unter den amerikanischen Askenasim.
Klaus Taschwer bemerkte übrigens auch fair, dass „Jude“oder „jüdisch“in keinem Artikel von Lorenz je vorkam. Dass die inkriminierte Domestikationsarbeit (1940) nichts mit Antisemitismus zu tun hatte, sondern mit der Sorge charakterlicher Defekte durch Selbstdomestikation im urbanen Zivilisationsmilieu, haben wir auch in direkter Befragung von Lorenz um 1980 hinreichend geklärt.
Genetische Gefahren der Selbstdomestikation beschäftigten Mediziner und Biologen vieler Länder, das Thema lag zwischen den beiden Kriegen förmlich in der Luft – nicht nur bei Julius Tandler, wir fanden es kürzlich sogar in einem Brief von Sigmund Freud an Albert Einstein (Sept. 1932), wo sich dieser über mögliche psychische Veränderungen im Domestikationsprozess der Menschheit sorgt, während man seit 1972 wegen fast wortgleicher Vermutungen von Konrad Lorenz eine regelrechte Hexenjagd gegen ihn veranstaltet.
Dabei war der schlichte „eugenische“Rat von Lorenz nur der, beim „einzig legitimen Ausleseprozess der Menschheit, nämlich der Gattenwahl“, schärfer als bisher auf Charaktereigenschaften einer Person zu achten statt auf die vom Staatsrassismus dümmlich forcierten Äußerlichkeiten.
Lorenz hielt den weiblichen Teil seit je für die charakterliche Auslese urteilsfähiger – sofern es sich dabei selbst um ein mit allen sozialen Verhaltensprogrammen voll ausgestattetes Geschöpf handle. Er nannte diese in dem Artikel „Vollwertige“und „die Besten unseres Volkes“und zitierte im Gespräch gern Goethes Wort „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“. Das mag naiv klingen – rassistisch war es aber nie.
In einem ZIB-2-Interview wagte der Vorsitzende Professor Stefan Griller sogar von „Erschleichung“des Dr. hc. durch die Vorenthaltung wichtiger Fakten zu sprechen. Wenn Vorenthaltung wichtiger Zusammenhänge für den Tatbestand „Erschleichung“genügte, dann war vor allem das Urteil der jetzigen Senatskommission auf Aberkennung „erschlichen“– durch einseitige Fehlinformiertheit der Senatsmitglieder, die wohl im guten Glauben handelten. Das Urteil gegen den Toten erfolgte zwar mit öffentlich artikuliertem „Ankläger“, aber ohne qualifizierte Verteidigung.
Die Unterfertigten sind bereit, die Verteidigung von Lorenz in einem Berufungsverfahren zu übernehmen, da wir mit ihm, begünstigt durch die Gnade unserer späten Geburt, die politisch belastenden Themen ungeschminkt diskutiert haben, über deren NS-Terminologie wir genauso erschraken wie andere Leser unserer Zeit, die wissen, wie derlei Phrasen in der Folge zum Werkzeug so schrecklicher Zielsetzungen wurden. Und wir teilen die Überzeugung, dass es für NS-Verbrechen – wo welche geschahen – keine Verjährung geben darf.
Ein letztes Beispiel für die selektive Wahrnehmung des Senatsberaters Pinwinkler ist seine Zufriedenheit über die „internationalen Reaktionen – neutral bis positiv“auf die Aberkennung (oder – wie wir sie sehen – akademische Leichenschändung). Wir registrieren hingegen einen Entrüstungssturm des Bildungsbürgertums samt einem vernichtenden Urteil der angesehenen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“(FAZ): „Schäbig gegenüber dem Toten, in der Sache bodenlos“– eine Reaktion, die wir dieser Universität gern erspart wüssten.